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Das Buch Ijob

Die Streitreden: 2,11 - 31,40

Der Besuch der Freunde

11 Die drei Freunde Ijobs hörten von all dem Bösen, das über ihn gekommen war. Und sie kamen, jeder aus seiner Heimat: Elifas aus Teman, Bildad aus Schuach und Zofar aus Naama. Sie vereinbarten hinzugehen, um ihm ihre Teilnahme zu bezeigen und um ihn zu trösten.
12 Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Gewand; sie streuten Asche über ihr Haupt gegen den Himmel.
13 Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte; keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war.


3

Die Last des Lebens

1 Danach tat Ijob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.
2 Ijob ergriff das Wort und sprach:
3 Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, / die Nacht, die sprach: Ein Mann ist empfangen.
4 Jener Tag werde Finsternis, / nie frage Gott von oben nach ihm, / nicht leuchte über ihm des Tages Licht.
5 Einfordern sollen ihn Dunkel und Finsternis, / Gewölk über ihn sich lagern, / Verfinsterung am Tag mache ihn schrecklich.
6 Jene Nacht, das Dunkel raffe sie hinweg, / sie reihe sich nicht in die Tage des Jahres, / sie füge sich nicht zur Zahl der Monde.
7 Ja, diese Nacht sei unfruchtbar, / kein Jubel komme auf in ihr.
8 Verwünschen sollen sie die Verflucher der Tage, / die es verstehen, den Levíatan zu wecken.
9 Verfinstert seien ihrer Dämmerung Sterne; / sie harre auf das Licht, jedoch umsonst; / die Wimpern der Morgenröte schaue sie nicht.
10 Denn sie hat die Pforten / an meiner Mutter Leib nicht verschlossen, / nicht das Leid verborgen vor meinen Augen.
11 Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, / kam ich aus dem Mutterleib und verschied nicht gleich?
12 Weshalb nur kamen Knie mir entgegen, / wozu Brüste, dass ich daran trank?
13 Still läge ich jetzt und könnte rasten, / entschlafen wäre ich und hätte Ruhe
14 bei Königen, bei Ratsherren im Land, / die Grabkammern für sich erbauten,
15 oder bei Fürsten, reich an Gold, / die ihre Häuser mit Silber gefüllt.
16 Wie die verscharrte Fehlgeburt wäre ich nicht mehr, / Kindern gleich, die das Licht nie geschaut.
17 Dort hören Frevler auf zu toben, / dort ruhen aus, deren Kraft erschöpft ist.
18 Auch Gefangene sind frei von Sorgen, / hören nicht mehr die Stimme des Treibers.
19 Klein und Groß ist dort beisammen, / der Sklave ist frei von seinem Herrn.
20 Warum schenkt er dem Elenden Licht / und Leben denen, die verbittert sind?
21 Sie warten auf den Tod, der nicht kommt, / sie suchen ihn mehr als verborgene Schätze.
22 Sie würden sich freuen über einen Hügel; / fänden sie ein Grab, sie würden frohlocken.
23 Wozu Licht für den Mann auf verborgenem Weg, / den Gott von allen Seiten einschließt?
24 Bevor ich noch esse, kommt mir das Seufzen, / wie Wasser strömen meine Klagen hin.
25 Was mich erschreckte, das kam über mich, / wovor mir bangte, das traf mich auch.
26 Noch hatte ich nicht Frieden, nicht Rast, nicht Ruhe, / fiel neues Ungemach mich an.


4

Die erste Rede des Elifas: 4,1-5,27

Die Vergeltung

1 Da antwortete Elifas von Teman und sprach:
2 Versucht man ein Wort an dich, ist es dir lästig? / Doch die Rede aufzuhalten, wer vermag es?
3 Sieh, viele hast du unterwiesen / und erschlaffte Hände stark gemacht.
4 Dem Strauchelnden halfen deine Worte auf, / wankenden Knien gabst du Halt.
5 Nun kommt es über dich, da gibst du auf, / nun fasst es dich an, da bist du verstört.
6 Ist deine Gottesfurcht nicht deine Zuversicht, / dein lauterer Lebensweg nicht deine Hoffnung?
7 Bedenk doch! Wer geht ohne Schuld zugrunde? / Wo werden Redliche im Stich gelassen?
8 Wohin ich schaue: Wer Unrecht pflügt, / wer Unheil sät, der erntet es auch.
9 Durch Gottes Atem gehen sie zugrunde, / sie schwinden hin im Hauch seines Zornes.
10 Des Löwen Brüllen, des Leuen Knurren, / des Junglöwen Zähne werden enttäuscht.
11 Der Löwe verendet aus Mangel an Beute, / die Jungen der Löwin zerstreuen sich.


Ein Traum

12 Zu mir hat sich ein Wort gestohlen, / geflüstert hat es mein Ohr erreicht.
13 Im Grübeln und bei Nachtgesichten, / wenn tiefer Schlaf die Menschen überfällt,
14 kam Furcht und Zittern über mich / und ließ erschaudern alle meine Glieder.
15 Ein Geist schwebt an meinem Gesicht vorüber, / die Haare meines Leibes sträuben sich.
16 Er steht, ich kann sein Aussehen nicht erkennen, / eine Gestalt nur vor meinen Augen, / ich höre eine Stimme flüstern:
17 Ist wohl ein Mensch vor Gott gerecht, / ein Mann vor seinem Schöpfer rein?
18 Selbst seinen Dienern traut er nicht, / zeiht seine Engel noch des Irrtums.
19 Wie erst jene, die im Lehmhaus wohnen, / die auf den Staub gegründet sind; / schneller als eine Motte werden sie zerdrückt.
20 Vom Morgen bis zum Abend werden sie zerschlagen, / für immer gehen sie zugrunde, unbeachtet.
21 Wird nicht das Zelt über ihnen abgebrochen, / sodass sie sterben ohne Einsicht?


5

Die Verantwortlichkeit des Menschen

1 Ruf doch! Ist einer, der dir Antwort gibt? / An wen von den Heiligen willst du dich wenden?
2 Den Toren bringt der Ärger um, / Leidenschaft tötet den Narren.
3 Wohl sah ich einen Toren Wurzel fassen, / doch plötzlich musste ich seine Wohnstatt verwünschen.
4 Weit weg vom Heil sind seine Kinder, / werden zertreten im Tor, sind ohne Helfer.
5 Seine Ernte verzehrt der Hungernde, / selbst aus Dornen holt er sie heraus, / Durstige lechzen nach seinem Gut.
6 Denn nicht aus dem Staub geht Unheil hervor, / nicht aus dem Ackerboden sprosst die Mühsal,
7 sondern der Mensch ist zur Mühsal geboren, / wie Feuerfunken, die hochfliegen.


Die Unterwerfung unter Gott

8 Ich aber, ich würde Gott befragen / und Gott meine Sache vorlegen,
9 der Großes und Unergründliches tut, / Wunder, die niemand zählen kann.
10 Er spendet Regen über die Erde hin / und sendet Wasser auf die weiten Fluren,
11 um Niedere hoch zu erheben, / damit Trauernde glücklich werden.
12 Er zerbricht die Ränke der Listigen, / damit ihre Hände nichts Rechtes vollbringen.
13 Weise fängt er in ihrer List, / damit der Schlauen Plan sich überstürzt.
14 Am hellen Tag stoßen sie auf Finsternis, / am Mittag tappen sie umher wie in der Nacht.
15 Er rettet vor dem Schwert ihres Mundes, / aus der Hand des Starken den Armen.
16 Hoffnung wird den Geringen zuteil, / die Bosheit muss ihr Maul verschließen.
17 Ja, wohl dem Mann, den Gott zurechtweist. / Die Zucht des Allmächtigen verschmähe nicht!
18 Denn er verwundet und er verbindet, / er schlägt, doch seine Hände heilen auch.
19 In sechs Drangsalen wird er dich retten, / in sieben rührt kein Leid dich an.
20 In Hungerzeiten rettet er dich vom Tod, / im Krieg aus der Gewalt des Schwertes.
21 Du bist geborgen vor der Geißel der Zunge, / brauchst nicht zu bangen, dass Verwüstung kommt.
22 Über Verwüstung und Hunger kannst du lachen, / von wilden Tieren hast du nichts zu fürchten.
23 Mit den Steinen des Feldes bist du verbündet, / die Tiere des Feldes werden Frieden mit dir halten.
24 Du wirst erfahren, dass dein Zelt in Frieden bleibt; / prüfst du dein Heim, so fehlt dir nichts.
25 Du wirst erfahren, dass deine Nachkommen zahlreich sind, / deine Sprösslinge wie das Gras der Erde.
26 Bei voller Kraft steigst du ins Grab, / wie man Garben einbringt zu ihrer Zeit.
27 Ja, das haben wir erforscht, so ist es. / Wir haben es gehört. Nimm auch du es an!


6

Ijobs Gegenrede: 6,1 - 7,21

Das unerträgliche Los

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Ach, würde doch mein Gram gewogen, / legte man auf die Waage auch mein Leid!
3 Denn nun ist es schwerer als der Sand des Meeres, / darum reden meine Worte irr.
4 Die Pfeile des Allmächtigen stecken in mir, / mein Geist hat ihr Gift getrunken, / Gottes Schrecken stellen sich gegen mich.
5 Schreit denn der Wildesel beim Gras / oder brüllt der Stier bei seinem Futter?
6 Isst man denn ungesalzene Speise? / Wer hat Geschmack an fadem Schleim?
7 Ich sträube mich, daran zu rühren, / das alles ist mir wie verdorbenes Brot.
8 Käme doch, was ich begehre, / und gäbe Gott, was ich erhoffe.
9 Und wollte Gott mich doch zermalmen, / seine Hand erheben, um mich abzuschneiden.
10 Das wäre noch ein Trost für mich; / ich hüpfte auf im Leid, mit dem er mich nicht schont. / Denn ich habe die Worte des Heiligen nicht verleugnet.
11 Was ist meine Kraft, dass ich aushalten könnte, / wann kommt mein Ende, dass ich mich gedulde?
12 Ist meine Kraft denn Felsenkraft, / ist mein Fleisch denn aus Erz?
13 Gibt es keine Hilfe mehr für mich, / ist mir jede Rettung entschwunden?


Die Enttäuschung über die Freunde

14 Des Freundes Liebe gehört dem Verzagten, / auch wenn er den Allmächtigen nicht mehr fürchtet.
15 Meine Brüder sind trügerisch wie ein Bach, / wie Wasserläufe, die verrinnen; /
16 trüb sind sie vom Eis, / wenn über ihnen der Schnee schmilzt.
17 Zur Zeit der Hitze versiegen sie; / wenn es heiß wird, verdunsten sie in ihrem Bett.
18 Karawanen biegen ab vom Weg, / folgen ihnen in die Wüste und kommen um.
19 Nach ihnen spähen Karawanen aus Tema, / auf sie vertrauen Handelszüge aus Saba.
20 In ihrer Hoffnung werden sie betrogen, / kommen hin und sind enttäuscht.
21 So seid ihr jetzt ein Nein geworden: / Ihr schaut das Entsetzliche und schaudert.
22 Habe ich denn gesagt: Gebt mir etwas, / von eurem Vermögen zahlt für mich?
23 Rettet mich aus dem Griff des Bedrängers, / kauft mich los aus der Hand der Tyrannen!
24 Belehrt mich, so werde ich schweigen; / worin ich fehlte, macht mir klar!
25 Wie wurden redliche Worte verhöhnt, / was kann euer Tadel rügen?
26 Gedenkt ihr, Worte zu tadeln? / Spricht der Verzweifelte in den Wind?
27 Selbst um ein Waisenkind würdet ihr würfeln, / sogar euren Freund verschachern.
28 Habt endlich die Güte, wendet euch mir zu, / ich lüge euch nicht ins Gesicht.
29 Kehrt um, kein Unrecht soll geschehen, / kehrt um, noch bin ich im Recht.
30 Ist denn Unrecht auf meiner Zunge / oder schmeckt mein Gaumen das Schlechte nicht?


7

1 Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf der Erde? / Sind nicht seine Tage die eines Tagelöhners?
2 Wie ein Knecht ist er, der nach Schatten lechzt, / wie ein Tagelöhner, der auf den Lohn wartet.
3 So wurden Monde voll Enttäuschung mein Erbe / und Nächte voller Mühsal teilte man mir zu.
4 Lege ich mich nieder, sage ich: / Wann darf ich aufstehn? / Wird es Abend, bin ich gesättigt mit Unrast, bis es dämmert.
5 Mein Leib ist gekleidet in Maden und Schorf, / meine Haut schrumpft und eitert.
6 Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, / der Faden geht aus, sie schwinden dahin.
7 Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist. / Nie mehr schaut mein Auge Glück.
8 Kein Auge gewahrt mich, das nach mir sieht, / suchen mich deine Augen, dann bin ich nicht mehr da.
9 Die Wolke schwindet, vergeht, / so steigt nie mehr auf, wer zur Unterwelt fuhr.
10 Nie kehrt er zurück in sein Haus, / nie mehr erblickt ihn sein Ort.


Die unbegreifliche Heimsuchung

11 So wehre ich nicht meinem Mund, / mit bedrängtem Geist will ich reden, / mit betrübter Seele will ich klagen.
12 Bin ich das Meer, der Meeresdrache, / dass du gegen mich eine Wache stellst?
13 Sagte ich: Mein Lager soll mich trösten, / mein Bett trage das Leid mit mir!,
14 so quältest du mich mit Träumen / und mit Gesichten jagtest du mich in Angst.
15 Erwürgt zu werden, zöge ich vor, / den Tod diesem Totengerippe.
16 Ich mag nicht mehr. Ich will nicht ewig leben. / Lass ab von mir; denn nur ein Hauch sind meine Tage.
17 Was ist der Mensch, dass du groß ihn achtest / und deinen Sinn auf ihn richtest,
18 dass du ihn musterst jeden Morgen / und jeden Augenblick ihn prüfst?
19 Wie lange schon schaust du nicht weg von mir, / lässt mich nicht los, sodass ich den Speichel schlucke?
20 Hab ich gefehlt? / Was tat ich dir, du Menschenwächter? / Warum stellst du mich vor dich als Zielscheibe hin? / Bin ich dir denn zur Last geworden?
21 Warum nimmst du mein Vergehen nicht weg, / lässt du meine Schuld nicht nach? / Dann könnte ich im Staub mich betten; / suchtest du mich, wäre ich nicht mehr da.


8

Die erste Rede Bildads: 8,1-22

Das Gesetz der Vergeltung

1 Da antwortete Bildad von Schuach und sprach:
2 Wie lange noch willst du derlei reden? / Nur heftiger Wind sind die Worte deines Mundes.
3 Beugt etwa Gott das Recht / oder beugt der Allmächtige die Gerechtigkeit?
4 Haben deine Kinder gefehlt gegen ihn, / gab er sie der Gewalt ihres Frevels preis.
5 Wenn du mit Eifer Gott suchst, / an den Allmächtigen dich flehend wendest,
6 wenn du rein bist und recht, / dann wird er über dich wachen, / dein Heim herstellen, wie es dir zusteht.
7 Und war dein Anfang auch gering, / dein Ende wird gewaltig groß.


Das Zeugnis der Erfahrung

8 Ja, frag nur das frühere Geschlecht / und merk dir, was die Väter erforschten.
9 Wir sind von gestern nur und wissen nichts, / wie Schatten sind auf Erden unsre Tage.
10 Unterweisen sie dich nicht, sprechen sie nicht zu dir, / geben sie dir nicht Worte aus ihrem Herzen:
11 Wächst ohne Sumpf das Schilfrohr hoch, / wird Riedgras ohne Wasser groß?
12 In Blüte und noch nicht gemäht, / verwelkt es schon vor allem Gras.
13 So enden alle, die Gott vergessen, / des Ruchlosen Hoffen wird zunichte.
14 Ein Spinngewebe ist seine Zuversicht, / ein Spinnennetz sein Verlass.
15 Stützt er sich auf sein Haus, es hält nicht stand, / klammert er sich daran, es bleibt nicht stehen.
16 Er steht im Saft vor der Sonne, / seine Zweige überwuchern den Garten,
17 im Geröll verflechten sich seine Wurzeln, / zwischen Steinen halten sie sich fest.
18 Doch Gott tilgt ihn aus an seiner Stätte, / sie leugnet ihn: Nie habe ich dich gesehen.
19 Siehe, das ist die Freude seines Weges / und ein anderer sprießt aus dem Staub.
20 Ja, Gott verschmäht den Schuldlosen nicht, / die Hand der Boshaften aber hält er nicht fest.
21 Mit Lachen wird er deinen Mund noch füllen, / deine Lippen mit Jubel.
22 Deine Hasser werden sich kleiden in Schmach, / das Zelt der Frevler besteht nicht mehr.


9

Ijobs Gegenrede: 9,1 - 10,22

Gottes Macht

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Wahrhaftig weiß ich, dass es so ist: / Wie wäre ein Mensch bei Gott im Recht!
3 Wenn er mit ihm rechten wollte, / nicht auf eins von tausend könnt er ihm Rede stehen.
4 Weisen Sinnes und stark an Macht - / wer böte ihm Trotz und bliebe heil?
5 Er versetzt Berge; sie merken es nicht, / dass er in seinem Zorn sie umstürzt.
6 Er erschüttert die Erde an ihrem Ort, / sodass ihre Säulen erzittern.
7 Er spricht zur Sonne, sodass sie nicht strahlt, / er versiegelt die Sterne.
8 Er spannt allein den Himmel aus / und schreitet einher auf den Höhen des Meeres.
9 Er schuf das Sternbild des Bären, den Orion, / das Siebengestirn, die Kammern des Südens.
10 Er schuf so Großes, es ist nicht zu erforschen, / Wunderdinge, sie sind nicht zu zählen.
11 Zieht er an mir vorüber, ich seh ihn nicht, / fährt er daher, ich merk ihn nicht.
12 Rafft er hinweg, wer hält ihn zurück? / Wer darf zu ihm sagen: Was tust du da?
13 Gott hält seinen Zorn nicht zurück, / unter ihm mussten selbst Rahabs Helfer sich beugen.


Die Ohnmacht des Menschen

14 Wie sollte denn ich ihm entgegnen, / wie meine Worte gegen ihn wählen?
15 Und wär ich im Recht, ich könnte nichts entgegnen, / um Gnade müsste ich bei meinem Richter flehen.
16 Wollte ich rufen, würde er mir Antwort geben? / Ich glaube nicht, dass er auf meine Stimme hört.
17 Er, der im Sturm mich niedertritt, / ohne Grund meine Wunden mehrt,
18 er lässt mich nicht zu Atem kommen, / er sättigt mich mit Bitternis.
19 Geht es um Kraft, er ist der Starke, / geht es um Recht, wer lädt mich vor?
20 Wär ich im Recht, mein eigener Mund spräche mich schuldig, / wäre ich gerade, er machte mich krumm.
21 Schuldlos bin ich, doch achte ich nicht auf mich, / mein Leben werfe ich hin.
22 Einerlei; so sag ich es denn: / Schuldlos wie schuldig bringt er um.
23 Wenn die Geißel plötzlich tötet, / spottet er über der Schuldlosen Angst.
24 Die Erde ist in Frevlerhand gegeben, / das Gesicht ihrer Richter deckt er zu. / Ist er es nicht, wer ist es dann?
25 Schneller als ein Läufer eilen meine Tage, / sie fliehen dahin und schauen kein Glück.
26 Sie gleiten vorbei wie Kähne aus Schilf, / dem Adler gleich, der auf Beute stößt.
27 Sage ich: Ich will meine Klage vergessen, / meine Miene ändern und heiter blicken!,
28 so graut mir vor all meinen Schmerzen; / ich weiß, du sprichst mich nicht frei.
29 Ich muss nun einmal schuldig sein, / wozu müh ich mich umsonst?
30 Wollte ich auch mit Schnee mich waschen, / meine Hände mit Lauge reinigen,
31 du würdest mich doch in die Grube tauchen, / sodass meinen Kleidern vor mir ekelt.
32 Denn du bist kein Mensch wie ich, / dem ich entgegnen könnte: / Lasst uns zusammen zum Gericht gehen!
33 Gäbe es doch einen Schiedsmann zwischen uns! / Er soll seine Hand auf uns beide legen.
34 Er nehme von mir seine Rute, / sein Schrecken soll mich weiter nicht ängstigen;
35 dann will ich reden, ohne ihn zu fürchten. / Doch so ist es nicht um mich bestellt.


10

1 Zum Ekel ist mein Leben mir geworden, / ich lasse meiner Klage freien Lauf, / reden will ich in meiner Seele Bitternis.
2 Ich sage zu Gott: Sprich mich nicht schuldig, / lass mich wissen, warum du mich befehdest.
3 Nützt es dir, dass du Gewalt verübst, / dass du das Werk deiner Hände verwirfst, / doch über dem Plan der Frevler aufstrahlst?
4 Hast du die Augen eines Sterblichen, / siehst du, wie Menschen sehen?
5 Sind Menschentagen deine Tage gleich / und deine Jahre wie des Mannes Tage,
6 dass du Schuld an mir suchst, / nach meiner Sünde fahndest,
7 obwohl du weißt, dass ich nicht schuldig bin / und keiner mich deiner Hand entreißt?
8 Deine Hände haben mich gebildet, mich gemacht; / dann hast du dich umgedreht und mich vernichtet.
9 Denk daran, dass du wie Ton mich geschaffen hast. / Zum Staub willst du mich zurückkehren lassen.
10 Hast du mich nicht ausgegossen wie Milch, / wie Käse mich gerinnen lassen?
11 Mit Haut und Fleisch hast du mich umkleidet, / mit Knochen und Sehnen mich durchflochten.
12 Leben und Huld hast du mir verliehen, / deine Obhut schützte meinen Geist.
13 Doch verbirgst du dies in deinem Herzen; / ich weiß, das hattest du im Sinn.
14 Sündige ich, wirst du mich bewachen, / mich nicht freisprechen von meiner Schuld.
15 Wenn ich schuldig werde, dann wehe mir! / Bin ich aber im Recht, darf ich das Haupt nicht erheben, / bin gesättigt mit Schmach und geplagt mit Kummer.
16 Erhebe ich es doch, jagst du mich wie ein Löwe / und verhältst dich wieder wunderbar gegen mich.
17 Neue Zeugen stellst du gegen mich, / häufst deinen Unwillen gegen mich, / immer neue Heere führst du gegen mich.
18 Warum ließest du mich aus dem Mutterschoß kommen, / warum verschied ich nicht, ehe mich ein Auge sah?
19 Wie nie gewesen wäre ich dann, / vom Mutterleib zum Grab getragen.
20 Sind wenig nicht die Tage meines Lebens? / Lass ab von mir, damit ich ein wenig heiter blicken kann,
21 bevor ich fortgehe ohne Wiederkehr / ins Land des Dunkels und des Todesschattens,
22 ins Land, so finster wie die Nacht, / wo Todesschatten herrscht und keine Ordnung, / und wenn es leuchtet, ist es wie tiefe Nacht.


11

Die erste Rede Zofars: 11,1-20

Die Größe Gottes

1 Da antwortete Zofar von Naama und sprach:
2 Soll dieser Wortschwall ohne Antwort bleiben / und soll der Maulheld Recht behalten?
3 Dein Geschwätz lässt Männer schweigen, / du darfst spotten, ohne dass einer dich beschämt.
4 Du sagtest: Rein ist meine Lehre / und lauter war ich stets in deinen Augen.
5 O, dass Gott doch selber spräche, / seine Lippen öffnete gegen dich.
6 Er würde dich der Weisheit Tiefen lehren, / dass sie wie Wunder sind für den klugen Verstand. / Wisse, dass Gott dich zur Rechenschaft zieht in deiner Schuld.
7 Die Tiefen Gottes willst du finden, / bis zur Vollkommenheit des Allmächtigen vordringen?
8 Höher als der Himmel ist sie, was machst du da? / Tiefer als die Unterwelt, was kannst du wissen?
9 Länger als die Erde ist ihr Maß, / breiter ist sie als das Meer.
10 Wenn er daherfährt und gefangen nimmt, / wenn er zusammentreibt, wer hält ihn ab?
11 Denn er kennt die falschen Leute, / sieht das Unrecht und nimmt es wahr.
12 Kommt denn ein Hohlkopf zur Besinnung, / wird ein Wildesel als ein Mensch geboren?


Die Aufgabe des Menschen

13 Wenn du selbst dein Herz in Ordnung bringst / und deine Hände zu ihm ausbreitest -
14 wenn Unrecht klebt an deiner Hand, entfern es / und lass nicht Schlechtigkeit in deinem Zelte wohnen! -,
15 dann kannst du makellos deine Augen erheben, / fest stehst du da und brauchst dich nicht zu fürchten.
16 Dann wirst du auch das Ungemach vergessen, / du denkst daran wie an Wasser, das verlief.
17 Heller als der Mittag erhebt sich dann dein Leben, / die Dunkelheit wird wie der Morgen sein.
18 Du fühlst dich sicher, weil noch Hoffnung ist; / geborgen bist du, du kannst in Ruhe schlafen.
19 Du kannst dich lagern, ohne dass jemand dich schreckt, / und viele mühen sich um deine Gunst.
20 Doch der Frevler Augen verschmachten, / jede Zuflucht schwindet ihnen; / ihr Hoffen ist, das Leben auszuhauchen.


12

Ijobs Gegenrede: 12,1 - 14,22

Das Schweigen Gottes

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Wahrhaftig, ihr seid besondere Leute / und mit euch stirbt die Weisheit aus.
3 Ich habe auch Verstand wie ihr, / ich falle nicht ab im Vergleich mit euch. / Wer wüsste wohl dergleichen nicht?
4 Zum Spott für die eigenen Freunde soll ich sein, / ich, der Gott anruft, dass er mich hört, / ein Spott der Fromme, der Gerechte.
5 Dem Unglück Hohn! So denkt, wer ohne Sorge ist, / wer fest sich weiß, wenn Füße wanken.
6 In Ruhe sind der Gewaltmenschen Zelte, / voll Sicherheit sind sie, die Gott erzürnen, / die wähnen, Gott mit ihrer Hand zu greifen.


Das unbegreifliche Walten Gottes

7 Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich, / die Vögel des Himmels, sie künden es dir.
8 Rede zur Erde, sie wird dich lehren, / die Fische des Meeres erzählen es dir.
9 Wer wüsste nicht bei alledem, / dass die Hand des Herrn dies gemacht hat?
10 In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens / und jeden Menschenleibes Geist.
11 Darf nicht das Ohr die Worte prüfen, / wie mit dem Gaumen man die Speisen schmeckt?
12 Findet sich bei Greisen wirklich Weisheit / und ist langes Leben schon Einsicht?
13 Bei ihm allein ist Weisheit und Heldenkraft, / bei ihm sind Rat und Einsicht.
14 Wenn er einreißt, baut keiner wieder auf; / wen er einschließt, dem wird nicht mehr geöffnet.
15 Wenn er die Wasser dämmt, versiegen sie, / lässt er sie frei, zerwühlen sie das Land.
16 Bei ihm ist Macht und Klugheit, / sein ist, wer irrt und wer irreführt.
17 Er lässt Ratsherren barfuß gehen, / Richter macht er zu Toren.
18 Fesseln von Königen löst er auf / und bindet einen Gurt um ihre Hüften.
19 Er lässt Priester barfuß gehen, / alte Geschlechter bringt er zu Fall.
20 Das Wort entzieht er den Bewährten, / den Ältesten nimmt er die Urteilskraft.
21 Verachtung gießt er auf die Edlen, / den Starken lockert er den Gurt.
22 Verborgenes enthüllt er aus dem Dunkel, / Finsternis führt er ans Licht.
23 Völker lässt er wachsen und tilgt sie aus; / er breitet Völker aus und rafft sie dann hinweg.
24 Den Häuptern des Landes nimmt er den Verstand, / lässt sie irren in wegloser Wüste.
25 Sie tappen umher im Dunkel ohne Licht, / er lässt sie irren wie Trunkene.


13

Das leere Gerede der Freunde

1 Seht, all das hat mein Auge gesehen, / mein Ohr gehört und wohl gemerkt.
2 Was ihr wisst, weiß ich auch; / ich falle nicht ab im Vergleich mit euch.
3 Doch ich will zum Allmächtigen reden, / mit Gott zu rechten ist mein Wunsch.
4 Ihr aber seid nur Lügentüncher, / untaugliche Ärzte alle.
5 Dass ihr endlich schweigen wolltet; / das würde Weisheit für euch sein.
6 Hört doch meinen Rechtsbeweis, / merkt auf die Streitreden meiner Lippen!
7 Wollt ihr für Gott Verkehrtes reden / und seinetwegen Lügen sprechen?
8 Wollt ihr für ihn Partei ergreifen, / für Gott den Rechtsstreit führen?
9 Ginge es gut, wenn er euch durchforschte, / könnt ihr ihn täuschen, wie man Menschen täuscht?
10 In harte Zucht wird er euch nehmen, / wenn ihr heimlich Partei ergreift.
11 Wird seine Hoheit euch nicht schrecken, / nicht Schrecken vor ihm euch überfallen?
12 Eure Merksätze sind Sprüche aus Staub, / eure Schilde Schilde aus Lehm.


Die Verteidigung der eigenen Unschuld

13 Schweigt vor mir, damit ich reden kann. / Dann komme auf mich, was mag.
14 Meinen Leib nehme ich zwischen die Zähne, / in meine Hand leg ich mein Leben.
15 Er mag mich töten, ich harre auf ihn; / doch meine Wege verteidige ich vor ihm.
16 Schon das wird mir zum Heile dienen, / kein Ruchloser kommt ja vor sein Angesicht.
17 Hört nun genau auf meine Rede, / was ich erkläre vor euren Ohren.
18 Seht, ich bringe den Rechtsfall vor; / ich weiß, ich bin im Recht.
19 Wer ist es, der mit mir streitet? / Gut, dann will ich schweigen und verscheiden.
20 Zwei Dinge nur tu mir nicht an, / dann verberge ich mich nicht vor dir:
21 Zieh deine Hand von mir zurück; / nicht soll die Angst vor dir mich schrecken.
22 Dann rufe und ich will Rede stehen / oder ich rede und du antworte mir!
23 Wie viel habe ich an Sünden und Vergehen? / Meine Schuld und mein Vergehen sag mir an!
24 Warum verbirgst du dein Angesicht / und siehst mich an als deinen Feind?
25 Verwehtes Laub willst du noch scheuchen, / dürre Spreu noch forttreiben?
26 Denn Bitterkeit verschreibst du mir, / teilst mir die Sünden meiner Jugend zu.
27 In den Block legst du meine Füße, / du überwachst auch alle meine Pfade / und zeichnest einen Strich um meiner Füße Sohlen.
28 Er selbst zerfällt wie Verfaultes, / dem Kleide gleich, das die Motte fraß.


14

Ijobs Hoffnungslosigkeit

1 Der Mensch, vom Weib geboren, / knapp an Tagen, unruhvoll,
2 er geht wie die Blume auf und welkt, / flieht wie ein Schatten und bleibt nicht bestehen.
3 Doch über ihm hältst du dein Auge offen / und ihn bringst du ins Gericht mit dir.
4 Kann denn ein Reiner von Unreinem kommen? / Nicht ein Einziger.
5 Wenn seine Tage fest bestimmt sind / und die Zahl seiner Monde bei dir, / wenn du gesetzt hast seine Grenzen, / sodass er sie nicht überschreitet,
6 schau weg von ihm! Lass ab, / damit er seines Tags sich freue wie ein Tagelöhner.
7 Denn für den Baum besteht noch Hoffnung, / ist er gefällt, so treibt er wieder, / sein Sprössling bleibt nicht aus.
8 Wenn in der Erde seine Wurzel altert / und sein Stumpf im Boden stirbt,
9 vom Dunst des Wassers sprosst er wieder / und wie ein Setzling treibt er Zweige.
10 Doch stirbt ein Mann, so bleibt er kraftlos, / verscheidet ein Mensch, wo ist er dann?
11 Die Wasser schwinden aus dem Meer, / der Strom vertrocknet und versiegt.
12 So legt der Mensch sich hin, steht nie mehr auf; / die Himmel werden vergehen, eh er erwacht, / eh er aus seinem Schlaf geweckt wird.
13 Dass du mich in der Unterwelt verstecktest, / mich bergen wolltest, bis dein Zorn sich wendet, / ein Ziel mir setztest und dann an mich dächtest!
14 Wenn einer stirbt, lebt er dann wieder auf? / Alle Tage meines Kriegsdienstes harrte ich, / bis einer käme, um mich abzulösen.
15 Du riefest und ich gäbe Antwort, / du sehntest dich nach deiner Hände Werk.
16 Dann würdest du meine Schritte zählen, / auf meinen Fehltritt nicht mehr achten.
17 Versiegelt im Beutel wäre mein Vergehen, / du würdest meinen Frevel übertünchen.
18 Jedoch der Berg, der fällt, zergeht, / von seiner Stätte rückt der Fels.
19 Das Wasser zerreibt Steine, / Platzregen spült das Erdreich fort; / so machst du das Hoffen des Menschen zunichte.
20 Du bezwingst ihn für immer, so geht er dahin, / du entstellst sein Gesicht und schickst ihn fort.
21 Sind seine Kinder in Ehren, er weiß es nicht; / sind sie verachtet, er merkt es nicht.
22 Sein Leib fühlt nur die eigenen Schmerzen, / seine Seele trauert nur um sich selbst.


15

Die Sündigkeit aller Menschen

1 Da antwortete Elifas von Teman und sprach:
2 Gibt ein Weiser windige Kunde zur Antwort, / füllt er sein Inneres mit Ostwind an,
3 um zu rechten mit Gerede, das nichts taugt, / mit Worten, in denen kein Nutzen liegt?
4 Du brichst sogar die Gottesfurcht, / zerstörst das Besinnen vor Gott.
5 Denn deine Schuld belehrt deinen Mund, / die Sprache der Listigen hast du gewählt.
6 Dein eigener Mund verurteilt dich, nicht ich, / deine Lippen zeugen gegen dich.
7 Bist du als erster Mensch geboren, / kamst du zur Welt noch vor den Hügeln?
8 Hast du gelauscht im Rate Gottes / und die Weisheit an dich gerissen?
9 Was weißt du, das wir nicht wissen, / verstehst du, was uns nicht bekannt ist?
10 Auch unter uns sind Alte, sind Ergraute, / die älter sind an Tagen als dein Vater.
11 Ist zu gering dir Gottes Tröstung, / ein Wort, das sanft mit dir verfährt?
12 Wie reißt doch dein Herz dich fort, / wie überheben sich deine Augen,
13 dass gegen Gott deinen Zorn du wendest / und Worte (gegen ihn) aus deinem Mund stößt?
14 Was ist der Mensch, dass rein er wäre, / der vom Weib Geborene, dass er im Recht sein könnte?
15 Sieh doch, selbst seinen Heiligen traut er nicht / und der Himmel ist nicht rein vor ihm.
16 Geschweige denn ein Unreiner und Verderbter, / ein Mensch, der Verkehrtes trinkt wie Wasser.


Die Hoffnungslosigkeit des Frevlers

17 Verkünden will ich dir, hör mir zu! / Was ich geschaut, will ich erzählen,
18 was Weise zu berichten wissen, / was ihre Väter ihnen nicht verhehlten.
19 Ihnen allein war das Land gegeben, / kein Fremder ging unter ihnen einher.
20 Der Frevler bebt in Ängsten all seine Tage, / die Zahl der Jahre ist dem Tyrannen verborgen.
21 In seinen Ohren hallen Schreckensrufe, / mitten im Frieden kommt der Verwüster über ihn.
22 Er kann nicht hoffen, dem Dunkel zu entfliehen, / aufgespart ist er für das Schwert.
23 Er irrt umher nach Brot, wo (er es finde), / er weiß, dass ihn ein schwarzer Tag bedroht.
24 Not und Drangsal erschrecken ihn, / sie packen ihn wie ein kampfbereiter König.
25 Denn gegen Gott erhebt er seine Hand, / gegen den Allmächtigen erkühnt er sich.
26 Halsstarrig rennt er gegen ihn an / mit den dicken Buckeln seiner Schilde.
27 Mit Fett bedeckt er sein Gesicht, / tut Fett um seine Hüfte.
28 Er wohnt in zerstörten Städten, / in Häusern, darin niemand wohnt, / die man zu Trümmerstätten bestimmt.
29 Er wird nicht reich; sein Besitz hat nicht Bestand; / zur Erde neigt sich seine Ähre nicht.
30 Der Finsternis entrinnt er nicht, / die Flammenglut dörrt seinen Schößling aus, / er schwindet dahin beim Hauch seines Mundes.
31 Er baue nicht auf eitlen Trug; / denn sein Erwerb wird nur Enttäuschung sein.
32 Bevor sein Tag kommt, welkt er hin / und sein Palmzweig grünt nicht mehr.
33 Er stößt ihn ab wie der Weinstock saure Trauben, / wie der Ölbaum wirft er seine Blüten fort.
34 Unfruchtbar ist der Ruchlosen Rotte / und Feuer verzehrt die Zelte der Bestechung.
35 Von Mühsal schwanger, gebären sie nur Unheil; / nur Trug ist, was ihr Schoß hervorbringt.


16

Ijobs Gegenrede: 16,1 - 17,16

Die leidigen Tröster

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Ähnliches habe ich schon viel gehört; / leidige Tröster seid ihr alle.
3 Sind nun zu Ende die windigen Worte, / oder was sonst reizt dich zum Widerspruch?
4 Auch ich könnte reden wie ihr, / wenn ihr an meiner Stelle wäret, / schöne Worte über euch machen / und meinen Kopf über euch schütteln.
5 Ich könnte euch stärken mit meinem Mund, / nicht sparen das Beileid meiner Lippen.


Gottes ungerechter Angriff

6 Rede ich, hört doch mein Schmerz nicht auf; / schweige ich, so weicht er nicht vor mir.
7 Jetzt aber hat er mich erschöpft. / Den Kreis der Freunde hast du mir verstört
8 und mich gepackt. / Mein Verfall erhebt sich / und tritt als Zeuge gegen mich auf; / er widerspricht mir ins Gesicht.
9 Sein Zorn zerreißt, befehdet mich, / knirscht gegen mich mit den Zähnen, / mein Gegner schärft die Augen gegen mich.
10 Sie sperren ihr Maul gegen mich auf, / schlagen voll Hohn mich auf die Wangen, / scharen sich gegen mich zusammen.
11 Gott gibt mich dem Bösen preis, / in die Hand der Frevler stößt er mich.
12 In Ruhe lebte ich, da hat er mich erschüttert, / mich im Nacken gepackt, mich zerschmettert, / mich als Zielscheibe für sich aufgestellt.
13 Seine Pfeile umschwirren mich, / schonungslos durchbohrt er mir die Nieren, / schüttet meine Galle zur Erde.
14 Bresche über Bresche bricht er mir, / stürmt wie ein Krieger gegen mich an.
15 Ein Trauergewand hab ich meiner Haut genäht, / mein Horn in den Staub gesenkt.
16 Mein Gesicht ist vom Weinen rot / und Dunkel liegt auf meinen Wimpern.
17 Doch kein Unrecht klebt an meinen Händen / und mein Gebet ist lauter.


Der Zeuge im Himmel

18 O Erde, deck mein Blut nicht zu / und ohne Ruhstatt sei mein Hilfeschrei!
19 Nun aber, seht, im Himmel ist mein Zeuge, / mein Bürge in den Höhen.
20 Da meine Freunde mich verspotten, / tränt zu Gott hin mein Auge.
21 Recht schaffe er dem Mann bei Gott / und zwischen Mensch und Mensch.
22 Denn nur noch wenig Jahre werden kommen, / dann muss ich den Pfad beschreiten, / auf dem man nicht wiederkehrt.


17

Die Klage des Verwöhnten

1 Mein Geist ist verwirrt, / meine Tage sind ausgelöscht, / nur Gräber bleiben mir.
2 Wahrhaftig, nur Spott begleitet mich. / In Bitterkeit verbringt mein Auge die Nacht.
3 Hinterleg die Bürgschaft für mich bei dir! / Wer würde sonst den Handschlag für mich leisten?
4 Ihr Herz hast du der Einsicht verschlossen, / darum lässt du sie nicht triumphieren.
5 Zum Teilen lädt einer die Freunde ein, / während die Augen seiner Kinder verschmachten.
6 Zum Spott für die Leute stellte er mich hin, / ich wurde einer, dem man ins Gesicht spuckt.
7 Vor Kummer ist mein Auge matt, / all meine Glieder schwinden wie Schatten dahin.
8 Darüber entsetzen sich die Redlichen, / der Reine empört sich über den Ruchlosen.
9 Doch der Gerechte hält fest an seinem Weg, / wer reine Hände hat, gewinnt an Kraft.
10 Ihr alle, kehrt um, kommt wieder her, / ich finde ja noch keinen Weisen bei euch.


Die Not des Verzweifelten

11 Dahin sind meine Tage, / zunichte meine Pläne, meine Herzenswünsche.
12 Sie machen mir die Nacht zum Tag, / das Licht nähert sich dem Dunkel.
13 Ich habe keine Hoffnung. / Die Unterwelt wird mein Haus, / in der Finsternis breite ich mein Lager aus.
14 Zur Grube rufe ich: Mein Vater bist du!, / Meine Mutter, meine Schwester!, zum Wurm.
15 Wo ist dann meine Hoffnung / und wo mein Glück? Wer kann es schauen?
16 Fahren sie zur Unterwelt mit mir hinab, / sinken wir vereint in den Staub?


18

Die zweite Rede Bildads: 18,1- 21

Die Selbstverteidigung Bildads

1 Da antwortete Bildad von Schuach und sprach:
2 Wann endlich macht ihr Schluss mit den Reden? / Nehmt Einsicht an, dann reden wir.
3 Warum sind wir wie Vieh geachtet, / gelten als unrein in euren Augen?
4 Du, der sich selbst zerfleischt in seinem Zorn, / soll deinetwegen die Erde sich entvölkern, / der Fels von seiner Stelle rücken?


Das Schicksal des Frevlers

5 Ja, der Frevler Licht erlischt, / die Flamme seines Feuers strahlt nicht auf.
6 Das Licht in seinem Zelte dunkelt, / seine Leuchte über ihm erlischt.
7 Eng wird sein gewaltiger Schritt, / sein eigner Plan bringt ihn zu Fall.
8 Denn mit seinen Füßen gerät er ins Netz / und über Flechtwerk schreitet er dahin.
9 Das Klappnetz packt ihn an der Ferse, / die Schlinge hält ihn fest.
10 Versteckt am Boden liegt sein Fangstrick, / die Falle für ihn auf dem Pfad.
11 Ringsum ängstigen ihn Schrecken / und scheuchen ihn auf Schritt und Tritt.
12 Hungrig nach ihm ist sein Unheil, / das Verderben steht bereit zu seinem Sturz.
13 Es frisst die Glieder seines Leibes, / seine Glieder frisst des Todes Erstgeborener.
14 Ausgerissen wird aus seinem Zelt die Zuversicht, / du treibst ihn fort zum König der Schrecken.
15 Ihm Fremdes wohnt in seinem Zelt, / Schwefel wird auf seinen Hof gestreut.
16 Von unten her verdorren seine Wurzeln, / von oben welken seine Zweige.
17 Sein Andenken schwindet von der Erde, / kein Name bleibt ihm weit und breit.
18 Sie stoßen ihn vom Licht ins Dunkel / und jagen ihn vom Erdkreis fort.
19 Kein Spross, kein Stamm bleibt ihm in seinem Volk, / am Ort seines Aufenthaltes keiner, der ihn überlebt.
20 Über seinen Tag schaudern die im Westen, / die im Osten packt das Grauen.
21 Ja, so geht es mit der Wohnung des Frevlers, / mit dem Ort des Menschen, der Gott nicht kennt.


19

Ijobs Gegenrede: 19,1-29

Die Zurückweisung der Schmähung

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Wie lange noch wollt ihr mich quälen / und mich mit Worten niedertreten?
3 Zum zehnten Mal schon schmäht ihr mich / und schämt euch nicht, mich zu beleidigen.
4 Ging ich wirklich unwissend fehl, / mein Fehltritt weilt doch allein bei mir.
5 Wollt ihr wirklich großtun gegen mich / und mir meine Schmach beweisen?


Das unbegreifliche Verhalten Gottes

6 Erkennt doch, dass Gott mich niederdrückt, / da er sein Netz rings um mich warf.
7 Schrei ich: Gewalt!, wird mir keine Antwort, / rufe ich um Hilfe, gibt es kein Recht.
8 Meinen Pfad hat er versperrt; ich kann nicht weiter, / Finsternis legt er auf meine Wege.
9 Meiner Ehre hat er mich entkleidet, / die Krone mir vom Haupt genommen.
10 Er brach mich ringsum nieder, ich muss dahin; / er riss mein Hoffen aus wie einen Baum.
11 Sein Zorn ist gegen mich entbrannt, / gleich seinen Gegnern gelte ich ihm.
12 Vereint rückten seine Scharen an, / bahnten gegen mich den Weg, / lagerten sich rings um mein Zelt.


Die Entfremdung der Verwandten und Freunde

13 Meine Brüder hat er von mir entfernt, / meine Bekannten sind mir entfremdet.
14 Meine Verwandten, Bekannten blieben aus, / die Gäste meines Hauses haben mich vergessen.
15 Als Fremder gelte ich meinen Mägden, / von anderem Stamm bin ich in ihren Augen.
16 Rufe ich meinen Knecht, so antwortet er nicht; / mit eigenem Mund muss ich ihn anflehen.
17 Mein Atem ist meiner Frau zuwider; / die Söhne meiner Mutter ekelt es vor mir.
18 Buben selbst verachten mich, / stehe ich auf, verhöhnen sie mich.
19 Alle meine Gefährten verabscheuen mich, / die ich liebe, lehnen sich gegen mich auf.
20 An Haut und Fleisch klebt mein Gebein, / nur das Fleisch an meinen Zähnen blieb.
21 Erbarmt, erbarmt euch meiner, ihr, meine Freunde! / Denn Gottes Hand hat mich getroffen.
22 Warum verfolgt ihr mich wie Gott, / warum werdet ihr an meinem Fleisch nicht satt?


Ijobs Hoffnung und Vertrauen

23 Dass doch meine Worte geschrieben würden, / in einer Inschrift eingegraben
24 mit eisernem Griffel und mit Blei, / für immer gehauen in den Fels.
25 Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, / als Letzter erhebt er sich über dem Staub.
26 Ohne meine Haut, die so zerfetzte, / und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen.
27 Ihn selber werde ich dann für mich schauen; / meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. / Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.
28 Wenn ihr sagt: Wie wollen wir ihn verfolgen / und den Grund der Sache an ihm finden!,
29 dann bangt für euch selber vor dem Schwert; / denn heftiger Zorn verdient das Schwert, / damit ihr wißt: Es gibt ein Gericht.


20

Die zweite Rede Zofars: 20,1-29

Ijobs unbegründeter Vorwurf

1 Da antwortete Zofar von Naama und sprach:
2 Darum drängt mich meine Erregung zur Antwort / und deswegen stürmt es in mir.
3 Schmähende Rüge muss ich hören, / doch der Geist meiner Einsicht lässt mich entgegnen.


Das Schicksal des Frevlers

4 Weißt du das nicht von Urzeit her, / seit Gott Menschen auf die Erde gesetzt hat:
5 dass kurz nur währt der Frevler Jubel, / einen Augenblick nur des Ruchlosen Freude?
6 Steigt auch sein Übermut zum Himmel / und rührt sein Kopf bis ans Gewölk,
7 wie sein Kot vergeht er doch für immer; / die ihn gesehen haben, werden fragen: Wo ist er?
8 Wie ein Traum verfliegt er / und ist nicht mehr zu finden, / wird weggescheucht wie ein Gesicht der Nacht.
9 Das Auge, das ihn sah, erblickt ihn nicht wieder, / seine Stätte schaut ihn nie mehr.
10 Seine Söhne müssen bei Armen betteln, / ihre Hände geben seine Habe zurück.
11 Strotzen von Jugendkraft auch seine Glieder, / sie betten sich doch mit ihm in den Staub.
12 Schmeckt süß das Böse in seinem Mund, / birgt er es unter seiner Zunge,
13 spart er es auf und will nicht von ihm lassen, / hält er es auch tief in seinem Gaumen fest,
14 in seinem Innern verwandelt sich die Speise, / sie wird in seinem Leib ihm zu Natterngift.
15 Das Gut, das er verschlungen hat, speit er aus; / aus seinem Leib treibt Gott es heraus.
16 Das Gift von Nattern saugt er ein, / es tötet ihn der Viper Zunge.
17 Nicht darf er Bäche von Öl schauen, / nicht Flüsse, die von Milch und Honig fließen.
18 Zurückgeben muss er seinen Gewinn, / genießen darf er ihn nicht, / darf sich nicht freuen am ertauschten Gut.
19 Denn Arme schlug er nieder, ließ sie liegen, / raubte das Haus, das er nicht gebaut.
20 Denn kein Genug kennt er in seinem Bauch, / drum entkommt er nicht mit seinen Schätzen.
21 Nichts entgeht seinem Fraß, / darum hält sein Glück auch nicht stand.
22 Trotz vollen Überflusses kommt er in Not, / die ganze Wucht des Elends fällt ihn an.
23 Und so geschieht es: Um des Frevlers Bauch zu füllen, / lässt Gott auf ihn die Gluten seines Zornes los, / lässt auf ihn regnen seine Schläge.
24 Flieht er vor dem Eisenpanzer, / durchbohrt ihn der Bogen aus Bronze.
25 In den Rücken fährt ihm Gottes Geschoss, / ein Blitz in seine Galle. / Schrecken gehen über ihn hin.
26 Nur finsteres Unheil ist für ihn aufbewahrt, / Feuer, von niemand entfacht, verzehrt ihn, / frisst noch den letzten Mann in seinem Zelt.
27 Der Himmel enthüllt seine Schuld, / die Erde bäumt sich gegen ihn auf.
28 Die Flut wälzt sein Haus hinweg, / Wasserströme am Tag seines Zorns.
29 Das ist des Frevlers Anteil von Gott, / das Erbe, das Gott ihm zuspricht.


21

Ijobs Gegenrede: 21,1-34

Die Bitte um Geduld

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Hört, hört doch auf mein Wort, / das wäre mir schon Trost von euch.
3 Ertragt mich, sodass ich reden kann. / Habe ich geredet, dann könnt ihr spotten.
4 Richt ich an Menschen meine Klage, / hab ich nicht Grund zur Ungeduld?
5 Wendet euch mir zu und erstarrt / und legt die Hand auf den Mund!
6 Denk ich daran, bin ich erschreckt / und Schauder packt meinen Leib.


Das Glück des Frevlers

7 Warum bleiben Frevler am Leben, / werden alt und stark an Kraft?
8 Ihre Nachkommen stehen fest vor ihnen, / ihre Sprösslinge vor ihren Augen.
9 Ihre Häuser sind in Frieden, ohne Schreck, / die Rute Gottes trifft sie nicht.
10 Ihr Stier bespringt und fehlt nicht, / die Kühe kalben und verwerfen nicht.
11 Wie Schafe treiben sie ihre Kinder aus, / ihre Kleinen tanzen und springen.
12 Sie singen zu Pauke und Harfe, / erfreuen sich am Klang der Flöte,
13 verbrauchen ihre Tage im Glück / und fahren voll Ruhe ins Totenreich.
14 Und doch sagten sie zu Gott: Weiche von uns! / Deine Wege wollen wir nicht kennen.
15 Was ist der Allmächtige, dass wir ihm dienen, / was nützt es uns, wenn wir ihn angehen?
16 Doch in ihrer Hand liegt nicht das Glück; / der Frevler Denkart ist mir fern.
17 Wie oft erlischt der Frevler Lampe, / kommt Unheil über sie, / teilt er Verderben zu in seinem Zorn?
18 Wie oft werden sie wie Stroh vor dem Wind, / wie Spreu, die der Sturm entführt?
19 Nicht dessen Kindern spare Gott sein Unheil auf, / ihm selbst vergelte er, sodass er es spürt.
20 Mit eigenen Augen soll er sein Unglück schauen, / vom Grimm des Allmächtigen soll er trinken.
21 Denn was kümmert ihn sein Haus, wenn er dahin ist, / wenn abgeschnitten seiner Monde Zahl?


Der trügerische Trost

22 Darf man Gott Erkenntnis lehren, / ihn, der die Erhabenen richtet?
23 Der eine stirbt in vollem Glück, / ist ganz in Frieden, sorgenfrei.
24 Seine Schenkel sind voll von Fett, / getränkt mit Mark sind seine Knochen.
25 Der andere stirbt mit bitterer Seele / und hat kein Glück genossen.
26 Zusammen liegen sie im Staub / und Gewürm deckt beide zu.
27 Ja, euer Denken kenn ich wohl, / die Ränke, die ihr sinnt gegen mich.
28 Ihr sagt: Wo ist das Haus des Edlen / und wo das Zelt, in dem Frevler wohnen?
29 Habt ihr nie die fahrenden Leute befragt / und ihre Zeichen genau beachtet?
30 Dass am Unglückstag der Böse verschont wird, / weggebracht am Tag des Zorns.
31 Wer hält ihm seinen Lebenswandel vor, / was er getan hat, wer vergilt es ihm?
32 Er aber wird zur Gruft geleitet, / bei seinem Grab hält man die Wacht.
33 Ein Labsal sind für ihn die Schollen des Schachts, / hinter ihm her zieht alle Welt, / vor ihm die Menge ohne Zahl.
34 Wie wollt ihr mich mit Nichtigem trösten? / Eure Antworten bleiben Betrug.


22

Die dritte Rede des Elifas: 22,1-30

Ijobs angebliche Freveltaten

1 Da antwortete Elifas von Teman und sprach:
2 Kann denn der Mensch Gott nützen? / Nein, sich selber nützt der Kluge.
3 Ist es dem Allmächtigen von Wert, / dass du gerecht bist, / ist es für ihn Gewinn, wenn du unsträfliche Wege gehst?
4 Wegen deiner Gottesfurcht sollte er dich strafen, / vor Gericht mit dir gehen?
5 Ist nicht groß deine Bosheit, / ohne Ende dein Verschulden?
6 Du pfändest ohne Grund deine Brüder, / ziehst Nackten ihre Kleider aus.
7 Den Durstigen tränkst du nicht mit Wasser, / dem Hungernden versagst du das Brot.
8 Dem Mann der Faust gehört das Land, / der Günstling darf darin wohnen.
9 Witwen hast du weggeschickt mit leeren Händen, / der Verwaisten Arme zerschlagen.
10 Deswegen liegen Fallstricke rings um dich her / und jäher Schrecken ängstigt dich
11 oder Dunkel, worin du nicht siehst, / und Wasserflut, die dich bedeckt.


Der allwissende Gott

12 Ist Gott nicht wie der Himmel hoch? / Schau, wie die höchsten Sterne ragen.
13 Und da sagst du: Was weiß denn Gott? / Richtet er denn durch das dunkle Gewölk?
14 Wolken umhüllen ihn, sodass er nicht sieht, / am Himmelskreis geht er einher.
15 Willst du dem Pfad der Vorzeit folgen, / den die Männer des Unheils zogen,
16 die vor der Zeit dahingerafft wurden, / über deren Grund sich ein Strom ergoss?
17 Die sagten zu Gott: Weiche von uns!, / und: Was tut uns der Allmächtige an?
18 Und doch, er hat ihre Häuser mit Gütern gefüllt / und das Planen der Bösen blieb ihm fern.
19 Sehen werden, sich freuen die Gerechten, / der Reine wird sie verspotten:
20 Wahrhaftig, vernichtet sind unsere Gegner, / ihren Rest hat das Feuer verzehrt.


Die Mahnung zu Umkehr und Demut

21 Werde sein Freund und halte Frieden! / Nur dadurch kommt das Gute dir zu.
22 Nimm doch Weisung an aus seinem Mund, / leg dir seine Worte ins Herz:
23 Kehrst du zum Allmächtigen um, / so wirst du aufgerichtet. Hältst Unrecht deinem Zelt du fern,
24 wirfst in den Staub das Edelgold, / zum Flussgestein das Feingold,
25 dann wird der Allmächtige dein Edelgold / und erlesenes Silber für dich sein.
26 Dann wirst du am Allmächtigen dich erfreuen / und zu Gott dein Angesicht heben.
27 Flehst du ihn an, so hört er dich / und du wirst deine Gelübde erfüllen.
28 Beschließt du etwas, dann trifft es ein / und Licht überstrahlt deine Wege.
29 Wer hochmütig redet, den duckt er, / doch hilft er dem, der die Augen senkt.
30 Er rettet den, der schuldlos ist; / durch deiner Hände Reinheit wird er gerettet.


23

Ijobs Gegenrede: 23,1 - 24,25

Der Ruf nach Gott, dem Richter

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Auch heute ist meine Klage Widerspruch; / schwer lastet seine Hand auf meinem Seufzen.
3 Wüßte ich doch, wie ich ihn finden könnte, / gelangen könnte zu seiner Stätte.
4 Ich wollte vor ihm das Recht ausbreiten, / meinen Mund mit Beweisen füllen.
5 Wissen möchte ich die Worte, die er mir entgegnet, / erfahren, was er zu mir sagt.
6 Würde er in der Fülle der Macht mit mir streiten? / Nein, gerade er wird auf mich achten.
7 Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten / und ich käme für immer frei von meinem Richter.
8 Geh ich nach Osten, so ist er nicht da, / nach Westen, so merke ich ihn nicht,
9 nach Norden, sein Tun erblicke ich nicht; / bieg ich nach Süden, sehe ich ihn nicht.
10 Doch er kennt den Weg, den ich gehe; / prüfte er mich, ich ginge wie Gold hervor.
11 Mein Fuß hielt fest an seiner Spur, / seinen Weg hielt ich ein und bog nicht ab.
12 Das Gebot seiner Lippen gab ich nicht auf; / seines Mundes Worte barg ich im Herzen.
13 Doch er bleibt sich gleich. Wer stimmt ihn um? / Wonach ihn gelüstet, das führt er aus.
14 Ja, er vollendet, was er mir bestimmt hat; / und Ähnliches hat er noch viel im Sinn.
15 Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht; / denk ich daran, gerate ich in Angst vor ihm.
16 Gott macht mein Herz verzagt, / der Allmächtige versetzt mich in Schrecken.
17 Denn bin ich nicht von Finsternis umschlossen, / bedeckt nicht Dunkel mein Angesicht?


24

Der Übermut der Sünder

1 Warum hat der Allmächtige keine Fristen bestimmt? / Warum schauen, die ihn kennen, seine Gerichtstage nicht?
2 Jene verrücken die Grenzen, / rauben Herden und führen sie zur Weide.
3 Den Esel der Waisen treiben sie fort, / pfänden das Rind der Witwe.
4 Vom Weg drängen sie die Armen, / es verbergen sich alle Gebeugten des Landes.
5 Sieh, wie Wildesel in der Steppe / ziehen sie zu ihrer Arbeit aus; die Steppe suchen sie nach Nahrung ab, / nach Brot für ihre Kinder.
6 Auf dem Feld schneiden sie des Nachts, / halten im Weinberg des Frevlers Nachlese.
7 Nackt verbringen sie die Nacht, ohne Kleider, / haben keine Decke in der Kälte.
8 Vom Regen der Berge sind sie durchnässt, / klammern sich ohne Schutz an den Fels.
9 Von der Mutterbrust reißen sie die Waisen, / den Säugling des Armen nehmen sie zum Pfand.
10 Nackt müssen sie gehen, ohne Kleid, / hungernd tragen sie Garben.
11 Zwischen Mauern pressen sie Öl, / treten die Kelter und müssen doch dürsten.
12 Aus der Stadt stöhnen Sterbende, / der Erschlagenen Leben schreit laut. / Doch Gott achtet nicht auf ihr Flehen.
13 Sie sind die Rebellen gegen das Licht; / sie nehmen seine Wege nicht wahr, / bleiben nicht auf seinen Pfaden.
14 Ist kein Licht, erhebt sich der Mörder, / tötet Elende und Arme; / in der Nacht gleicht er dem Dieb.
15 Auch des Ehebrechers Auge achtet auf Dämmerung. / Kein Auge, sagt er, soll mich erspähen!, / eine Hülle legt er aufs Gesicht.
16 Im Finstern bricht er ein in die Häuser; / tagsüber verstecken sie sich; / sie wollen nichts wissen vom Licht.
17 Denn Finsternis ist für sie der Morgen zugleich, / denn mit ihren Schrecken sind sie wohl vertraut.


Das Ende der Frevler

18 Schnell reißt ihn das Wasser fort; / verflucht ist ihr Anteil auf Erden; / nicht wendet er den Weg den Weinbergen zu.
19 Dürre und Hitze raffen das Schneewasser weg, / die Unterwelt den Sünder.
20 Der Mutterschoß vergisst ihn, / Gewürm labt sich an ihm; nie mehr wird an ihn gedacht; / ja, wie Holz wird Frevel zerschmettert.
21 Er tut Böses der Unfruchtbaren, der Kinderlosen, / keiner Witwe erweist er Gutes.
22 Gott reißt die Starken hinweg in seiner Macht; / steht er auf, ist niemand seines Lebens sicher.
23 Sicherheit gibt er ihm, er traue darauf; / aber seine Augen überwachen ihren Weg.
24 Sie kommen hoch für kurze Zeit, dann ist es aus. / Sie werden umgebogen, alle mit der Faust gepackt / und wie Ährenspitzen abgeschnitten.
25 Ist es nicht so? Wer straft mich Lügen / und bringt meine Rede zum Schweigen?


25

Die Sündhaftigkeit aller Menschen

1 Da antwortete Bildad von Schuach und sprach:
2 Herrschaft und Schrecken sind bei ihm, / der Frieden schafft in seinen Höhen.
3 Kann man seine Scharen zählen / und über wem erhebt sich nicht sein Licht?
4 Wie wäre ein Mensch gerecht vor Gott, / wie wäre rein der vom Weib Geborene?
5 Siehe, selbst der Mond glänzt nicht hell, / die Sterne sind nicht rein in seinen Augen,
6 geschweige denn der Mensch, die Made, / der Menschensohn, der Wurm.


26

Ijobs Gegenrede: 26,1 - 27,23

Leere Worte ohne Wahrheit

1 Da antwortete Ijob und sprach:
2 Wie hilfst du doch dem Schwachen auf, / stehst du bei dem kraftlosen Arm!
3 Wie gut rätst du dem, der nicht weise ist, / tust ihm Wissen in Fülle kund!
4 Wem trägst du die Reden vor / und wessen Atem geht von dir aus?


Die Größe der Allmacht Gottes

5 Die Totengeister zittern drunten, / die Wasser mit ihren Bewohnern.
6 Nackt liegt die Unterwelt vor ihm, / keine Hülle deckt den Abgrund.
7 Er spannt über dem Leeren den Norden, / hängt die Erde auf am Nichts.
8 Er bindet das Wasser in sein Gewölk; / doch birst darunter die Wolke nicht.
9 Er verschließt den Anblick seines Throns / und breitet darüber sein Gewölk.
10 Eine Grenze zieht er rund um die Wasser / bis an den Rand von Licht und Finsternis.
11 Die Säulen des Himmels erzittern, / sie erschrecken vor seinem Drohen.
12 Durch seine Kraft stellt still er das Meer, / durch seine Klugheit zerschmettert er Rahab.
13 Durch seinen Hauch wird heiter der Himmel, / seine Hand durchbohrt die flüchtige Schlange.
14 Siehe, das sind nur die Säume seines Waltens; / wie ein Flüstern ist das Wort, / das wir von ihm vernehmen. Doch das Donnern seiner Macht, / wer kann es begreifen?


27

Die Unschuldsbeteuerung vor den Freunden

1 Dann setzte Ijob seine Rede fort und sprach:
2 So wahr Gott lebt, der mir mein Recht entzog, / der Allmächtige, der meine Seele quälte:
3 Solange noch Atem in mir ist / und Gottes Hauch in meiner Nase,
4 soll Unrecht nicht von meinen Lippen kommen, / noch meine Zunge Falsches reden.
5 Fern sei es mir, euch Recht zu geben, / ich gebe, bis ich sterbe, meine Unschuld nicht preis.
6 An meinem Rechtsein halt ich fest und lass es nicht; / mein Herz schilt keinen meiner Tage.


Der Untergang der Frevler

7 Mein Feind sei wie ein Frevler, / mein Gegner wie ein Bösewicht.
8 Denn was ist des Ruchlosen Hoffen, / wenn er dahingeht, / wenn Gott das Leben von ihm nimmt?
9 Wird Gott sein Schreien hören, / wenn über ihn die Drangsal kommt?
10 Kann er sich des Allmächtigen erfreuen / und Gott anrufen zu jeder Zeit?
11 Ich will euch belehren über Gottes Tun, / nicht verhehlen, was der Allmächtige plant.
12 Ihr habt es ja alle selbst gesehen. / Warum führt ihr nichtige Reden?
13 Das ist des Frevlers Anteil bei Gott, / der Gewalttätigen Erbe, / das sie vom Allmächtigen empfangen:
14 Werden zahlreich seine Söhne, / fürs Schwert sind sie bestimmt; / nie werden seine Kinder satt an Brot.
15 Was übrig bleibt, wird durch den Tod begraben / und seine Witwen weinen nicht.
16 Häuft er auch Silber auf wie Staub / und beschafft er sich Kleider wie Lehm:
17 er schafft sie zwar an; / doch anziehen wird sie der Gerechte, / das Silber wird der Schuldlose erben.
18 Er baut wie die Spinne sein Haus / und wie die Hütte, die der Wächter aufstellt.
19 Reich legt er sich schlafen, nichts ist ihm genommen. / Macht er die Augen auf, ist nichts mehr da.
20 Schrecken holt ihn ein wie eine Wasserflut, / der Sturmwind trägt ihn fort bei Nacht.
21 Der Ostwind hebt ihn hoch, er muss dahin, / er weht ihn weg von seinem Ort.
22 Er stürzt sich auf ihn schonungslos, / seiner Gewalt will er entfliehen.
23 Man klatscht über ihn in die Hände / und zischt ihn fort von seiner Stätte.


28

Das Lied über die Weisheit: 28,1- 28

Die Erhabenheit der Weisheit

1 Wohl gibt es einen Fundort für das Silber, / eine Stätte für das Gold, wo man es läutert.
2 Eisen holt man aus der Erde, / Gestein wird zu Kupfer geschmolzen.
3 Es setzt der Mensch dem Finstern eine Grenze; / er forscht hinein bis in das Letzte, ins düstere, dunkle Gestein.
4 Stollen gräbt ein fremdes Volk; / vergessen, ohne Halt für den Fuß, / hängt es, schwebt es, den Menschen fern.
5 Die Erde, daraus das Brotkorn kommt, / wird in den Tiefen wie mit Feuer zerstört.
6 Fundort des Saphirs ist ihr Gestein / und Goldstaub findet sich darin.
7 Kein Raubvogel kennt den Weg dahin; / kein Falkenauge hat ihn erspäht.
8 Das stolze Wild betritt ihn nicht, / kein Löwe schreitet über ihn.
9 An harte Kiesel legt er die Hand, / von Grund auf wühlt er Berge um.
10 In Felsen haut er Stollen ein / und lauter Kostbarkeiten erblickt sein Auge.
11 Sickerbäche dämmt er ein, / Verborgenes bringt er ans Licht.
12 Die Weisheit aber, wo ist sie zu finden / und wo ist der Ort der Einsicht?
13 Kein Mensch kennt die Schicht, in der sie liegt; / sie findet sich nicht in der Lebenden Land.
14 Die Urflut sagt: Bei mir ist sie nicht. / Der Ozean sagt: Bei mir weilt sie nicht.
15 Man kann nicht Feingold für sie geben, / nicht Silber als Preis für sie wägen.
16 Nicht wiegt sie Gold aus Ofir auf, / kein kostbarer Karneol, kein Saphir.
17 Gold und Glas stehen ihr nicht gleich, / kein Tausch für sie ist Goldgerät,
18 nicht zu reden von Korallen und Kristall; / weit über Perlen geht der Weisheit Besitz.
19 Der Topas von Kusch kommt ihr nicht gleich / und reinstes Gold wiegt sie nicht auf.


Gottes Weg

20 Die Weisheit aber, wo kommt sie her / und wo ist der Ort der Einsicht?
21 Verhüllt ist sie vor aller Lebenden Auge, / verborgen vor den Vögeln des Himmels.
22 Abgrund und Tod sagen: / Unser Ohr vernahm von ihr nur ein Raunen.
23 Gott ist es, der den Weg zu ihr weiß, / und nur er kennt ihren Ort.
24 Denn er blickt bis hin zu den Enden der Erde; / was unter dem All des Himmels ist, sieht er.
25 Als er dem Wind sein Gewicht schuf / und die Wasser nach Maß bestimmte,
26 als er dem Regen das Gesetz schuf / und einen Weg dem Donnergewölk,
27 damals hat er sie gesehen und gezählt, / sie festgestellt und erforscht.
28 Doch zum Menschen sprach er: / Seht, die Furcht vor dem Herrn, das ist Weisheit, / das Meiden des Bösen ist Einsicht.


29

Ijobs Schlussrede: 29,1- 31,40

Die gesegnete Vergangenheit

1 Dann setzte Ijob seine Rede fort und sprach:
2 Dass ich doch wäre / wie in längst vergangenen Monden, / wie in den Tagen, da mich Gott beschirmte,
3 als seine Leuchte über meinem Haupt erstrahlte, / in seinem Licht ich durch das Dunkel ging.
4 So, wie ich in den Tagen meiner Frühzeit war, / als Gottes Freundschaft über meinem Zelte stand,
5 als der Allmächtige noch mit mir war, / meine Kinder mich umgaben,
6 als meine Schritte sich in Milch gebadet, / Bäche von Öl der Fels mir ergoss.
7 Ging ich durchs Tor zur Stadt hinauf, / ließ ich auf dem Platz meinen Sitz aufstellen;
8 sahen mich die Jungen, so traten sie scheu beiseite, / die Alten standen auf und blieben stehen.
9 Fürsten hielten mit Reden sich zurück / und legten ihre Hand auf ihren Mund.
10 Der Edlen Stimme blieb stumm, / am Gaumen klebte ihre Zunge.
11 Hörte mich ein Ohr, pries es mich glücklich, / das Auge, das mich sah, stimmte mir zu.
12 Denn ich rettete den Armen, der schrie, / die Waise, die ohne Hilfe war.
13 Der Segen des Verlorenen kam über mich / und jubeln ließ ich der Witwe Herz.
14 Ich bekleidete mich mit Gerechtigkeit, / wie Mantel und Kopfbund umhüllte mich mein Recht.
15 Auge war ich für den Blinden, / dem Lahmen wurde ich zum Fuß.
16 Vater war ich für die Armen, / des Unbekannten Rechtsstreit prüfte ich.
17 Ich zerschmetterte des Bösen Kiefer, / entriss die Beute seinen Zähnen.
18 So dachte ich: Mit meinem Nest werde ich verscheiden / und gleich dem Phönix meine Tage mehren.
19 Meine Wurzel reiche bis an das Wasser, / auf meinen Zweigen nächtige Tau.
20 Neu bleibe mir meine Ehre, / mein Bogen verjünge sich in meiner Hand.
21 Auf mich horchten und warteten sie, / lauschten schweigend meinem Rat.
22 Wenn ich sprach, nahm keiner das Wort; / es träufelte nieder auf sie meine Rede.
23 Sie harrten auf mich wie auf Regen, / sperrten den Mund wie nach Spätregen auf.
24 Lächelte ich denen zu, die ohne Vertrauen, / sie wiesen das Leuchten meines Gesichts nicht ab.
25 Ich bestimmte ihr Tun, ich saß als Haupt, / thronte wie ein König inmitten der Schar, wie einer, der Trauernde tröstet.


30

Die schreckliche Gegenwart

1 Jetzt aber lachen über mich, / die jünger sind als ich an Tagen, / deren Väter ich nicht für wert geachtet, / sie bei den Hunden meiner Herde anzustellen.
2 Was sollte mir auch ihrer Hände Kraft? / Geschwunden war ihre Rüstigkeit
3 durch Mangel und durch harten Hunger; / Leute, die das dürre Land abnagen, / das Gras der Wüste und der Wüstenei.
4 Sie pflücken Salzmelde im Gesträuch / und Ginsterwurzeln sind ihr Brot.
5 Aus der Gemeinschaft wurden sie verjagt; / man schreit ihnen nach wie einem Dieb.
6 Am Hang der Täler müssen sie wohnen, / in Erdhöhlen und in Felsgeklüft.
7 Zwischen Sträuchern schreien sie kläglich, / drängen sich zusammen unter wildem Gestrüpp.
8 Blödes Gesindel, Volk ohne Namen, / wurden sie aus dem Land hinausgepeitscht.
9 Jetzt aber bin ich ihr Spottlied, / bin zum Klatsch für sie geworden.
10 Sie verabscheuen mich, rücken weit von mir weg, / scheuen sich nicht, mir ins Gesicht zu speien.
11 Denn Gott löste mein Seil und beugte mich nieder, / sie aber ließen die Zügel vor mir schießen.
12 Zur rechten Seite erhebt sich eine Schar, / treibt meine Füße weg, / wirft gegen mich ihre Unheilsdämme auf.
13 Meinen Pfad reißen sie auf, helfen zu meinem Verderben / und niemand wehrt ihnen.
14 Wie durch eine breite Bresche kommen sie heran, / wälzen sich unter Trümmern her.
15 Schrecken stürzen auf mich ein, / verjagt wie vom Wind ist mein Adel, / wie eine Wolke entschwand mein Heil.
16 Und nun zerfließt die Seele in mir, / des Elends Tage packen mich an.
17 Des Nachts durchbohrt es mir die Knochen, / mein nagender Schmerz kommt nicht zur Ruh.
18 Mit Allgewalt packt er mich am Kleid, / schnürt wie der Gürtel des Rocks mich ein.
19 Er warf mich in den Lehm, / sodass ich Staub und Asche gleiche.
20 Ich schreie zu dir und du erwiderst mir nicht; / ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich.
21 Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich, / mit deiner starken Hand befehdest du mich.
22 Du hebst mich in den Wind, fährst mich dahin, / lässt mich zergehen im Sturmgebraus.
23 Ja, ich weiß, du führst mich zum Tod, / zur Sammelstätte aller Lebenden.
24 Doch nicht an Trümmer legt er die Hand. - / Schreit man nicht um Hilfe beim Untergang?
25 Weinte ich nicht um den, der harte Tage hatte, / grämte sich nicht meine Seele über den Armen?
26 Ja, ich hoffte auf Gutes, doch Böses kam, / ich harrte auf Licht, doch Finsternis kam.
27 Mein Inneres kocht und kommt nicht zur Ruhe, / mich haben die Tage des Elends erreicht.
28 Geschwärzt, doch nicht von der Sonne gebrannt, / stehe ich auf in der Gemeinde, schreie laut.
29 Den Schakalen wurde ich zum Bruder, / den Straußenhennen zum Freund.
30 Die Haut an mir ist schwarz, / von Fieberglut brennen meine Knochen.
31 Zur Trauer wurde mein Harfenspiel, / mein Flötenspiel zum Klagelied.


31

Erneute Unschuldsbeteuerung vor Gott

1 Einen Bund schloss ich mit meinen Augen, / nie eine Jungfrau lüstern anzusehen.
2 Was wäre sonst mein Teil von Gott dort oben, / mein Erbe vom Allmächtigen in der Höhe?
3 Ist nicht Verderben dem Frevler bestimmt / und Missgeschick den Übeltätern?
4 Sieht er denn meine Wege nicht, / zählt er nicht alle meine Schritte?
5 Wenn ich in Falschheit einherging, / wenn zum Betrug mein Fuß eilte,
6 dann wäge Gott mich auf gerechter Waage, / so wird er meine Unschuld anerkennen.
7 Wenn mein Schritt vom Wege wich, / mein Herz meinen Augen folgte, / an meinen Händen Makel klebte,
8 dann esse ein anderer, was ich säe, / entwurzelt werde, was mir sprosst.
9 Wenn sich mein Herz von einer Frau betören ließ / und ich an der Tür meines Nachbarn lauerte,
10 dann mahle meine Frau einem andern / und andere sollen sich beugen über sie.
11 Denn das wäre eine Schandtat / und ein Verbrechen, von Richtern zu strafen.
12 Denn das wäre Feuer, das zum Abgrund frisst / und meine ganze Habe entwurzelt.
13 Wenn ich das Recht meines Knechts missachtet / und das meiner Magd im Streit mit mir,
14 was könnt ich tun, wenn Gott sich erhöbe, / was ihm entgegnen, wenn er mich prüfte?
15 Hat nicht mein Schöpfer auch ihn im Mutterleib geschaffen, / hat nicht der Eine uns im Mutterschoß gebildet?
16 Wenn ich der Armen Wunsch versagte, / verschmachten ließ der Witwe Augen,
17 wenn ganz allein ich meinen Bissen aß, / das Waisenkind aber nicht davon aß -
18 von Jugend an hat wie ein Vater er mich großgezogen, / vom Mutterschoß an mich geleitet -,
19 wenn ich den Verlorenen sah ohne Kleid / und ohne Decke den Verarmten,
20 wenn nicht seine Lenden mir dankten, / er nicht von der Schur meiner Lämmer sich wärmte,
21 wenn meine Hand der Waise drohte, / weil ich am Tor Helfer für mich sah,
22 dann falle die Schulter mir vom Nacken, / breche der Arm mir aus dem Gelenk.
23 Ja, Schrecken träfe mich, Gottes Verderben, / vor seiner Hoheit hielte ich nicht stand.
24 Wenn ich auf Gold meine Hoffnung setzte, / zum Feingold sprach: Du meine Zuversicht!,
25 wenn ich mich freute, dass groß mein Vermögen, / dass viel erreicht hat meine Hand,
26 wenn ich die leuchtende Sonne sah, wie sie strahlte, / den Mond, wie er herrlich dahinzog,
27 wenn heimlich sich mein Herz betören ließ / und meine Hand dem Mund zum Kuss sich bot,
28 auch das wäre ein Verbrechen, vom Richter zu strafen, / denn Gott da droben hätte ich verleugnet.
29 Wenn ich am Unglück meines Feinds mich freute / und triumphierte, dass Unheil ihn traf -
30 habe ich doch meinem Mund zu sündigen verboten, / sein Leben mit Fluch zu verwünschen.
31 Wenn meine Zeltgenossen nicht gestanden: / Wer wurde von seinem Fleisch nicht gesättigt?
32 Kein Fremder musste draußen übernachten, / dem Wanderer tat meine Tür ich auf.
33 Wenn ich nach Menschenart meine Frevel verhehlte, / meine Schuld verbarg in meiner Brust,
34 weil ich die große Menge scheute / und die Verachtung der Sippen mich schreckte, / so schwiege ich still und ginge nicht zur Tür hinaus.


Ijobs Warten auf Gottes Antwort

35 Gäbe es doch einen, der mich hört. / Das ist mein Begehr, dass der Allmächtige mir Antwort gibt: / Hier ist das Schriftstück, das mein Gegner geschrieben.
36 Auf meine Schulter wollte ich es heben, / als Kranz es um den Kopf mir winden.
37 Ich täte die Zahl meiner Schritte ihm kund, / ich nahte mich ihm wie ein Fürst.
38 Wenn über mich mein Acker schrie, / seine Furchen miteinander weinten,
39 wenn seinen Ertrag ich verzehrte, ohne zu bezahlen, / das Verlangen seines Herrn ich unerfüllt ließ,
40 sollen Dornen wachsen statt Weizen, / statt Gerste stinkendes Kraut. Zu Ende sind die Worte Ijobs.