Das Buch Ijob
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Ijobs Gegenrede: 12,1 - 14,22
Das Schweigen Gottes
1 Da antwortete Ijob und sprach: 2 Wahrhaftig, ihr seid besondere Leute / und mit euch stirbt die Weisheit aus. 3 Ich habe auch Verstand wie ihr, / ich falle nicht ab im Vergleich mit euch. / Wer wüsste wohl dergleichen nicht? 4 Zum Spott für die eigenen Freunde soll ich sein, / ich, der Gott anruft, dass er mich hört, / ein Spott der Fromme, der Gerechte. 5 Dem Unglück Hohn! So denkt, wer ohne Sorge ist, / wer fest sich weiß, wenn Füße wanken. 6 In Ruhe sind der Gewaltmenschen Zelte, / voll Sicherheit sind sie, die Gott erzürnen, / die wähnen, Gott mit ihrer Hand zu greifen.
Das unbegreifliche Walten Gottes
7 Doch frag nur die Tiere, sie lehren es dich, / die Vögel des Himmels, sie künden es dir. 8 Rede zur Erde, sie wird dich lehren, / die Fische des Meeres erzählen es dir. 9 Wer wüsste nicht bei alledem, / dass die Hand des Herrn dies gemacht hat? 10 In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens / und jeden Menschenleibes Geist. 11 Darf nicht das Ohr die Worte prüfen, / wie mit dem Gaumen man die Speisen schmeckt? 12 Findet sich bei Greisen wirklich Weisheit / und ist langes Leben schon Einsicht? 13 Bei ihm allein ist Weisheit und Heldenkraft, / bei ihm sind Rat und Einsicht. 14 Wenn er einreißt, baut keiner wieder auf; / wen er einschließt, dem wird nicht mehr geöffnet. 15 Wenn er die Wasser dämmt, versiegen sie, / lässt er sie frei, zerwühlen sie das Land. 16 Bei ihm ist Macht und Klugheit, / sein ist, wer irrt und wer irreführt. 17 Er lässt Ratsherren barfuß gehen, / Richter macht er zu Toren. 18 Fesseln von Königen löst er auf / und bindet einen Gurt um ihre Hüften. 19 Er lässt Priester barfuß gehen, / alte Geschlechter bringt er zu Fall. 20 Das Wort entzieht er den Bewährten, / den Ältesten nimmt er die Urteilskraft. 21 Verachtung gießt er auf die Edlen, / den Starken lockert er den Gurt. 22 Verborgenes enthüllt er aus dem Dunkel, / Finsternis führt er ans Licht. 23 Völker lässt er wachsen und tilgt sie aus; / er breitet Völker aus und rafft sie dann hinweg. 24 Den Häuptern des Landes nimmt er den Verstand, / lässt sie irren in wegloser Wüste. 25 Sie tappen umher im Dunkel ohne Licht, / er lässt sie irren wie Trunkene.
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Das leere Gerede der Freunde
1 Seht, all das hat mein Auge gesehen, / mein Ohr gehört und wohl gemerkt. 2 Was ihr wisst, weiß ich auch; / ich falle nicht ab im Vergleich mit euch. 3 Doch ich will zum Allmächtigen reden, / mit Gott zu rechten ist mein Wunsch. 4 Ihr aber seid nur Lügentüncher, / untaugliche Ärzte alle. 5 Dass ihr endlich schweigen wolltet; / das würde Weisheit für euch sein. 6 Hört doch meinen Rechtsbeweis, / merkt auf die Streitreden meiner Lippen! 7 Wollt ihr für Gott Verkehrtes reden / und seinetwegen Lügen sprechen? 8 Wollt ihr für ihn Partei ergreifen, / für Gott den Rechtsstreit führen? 9 Ginge es gut, wenn er euch durchforschte, / könnt ihr ihn täuschen, wie man Menschen täuscht? 10 In harte Zucht wird er euch nehmen, / wenn ihr heimlich Partei ergreift. 11 Wird seine Hoheit euch nicht schrecken, / nicht Schrecken vor ihm euch überfallen? 12 Eure Merksätze sind Sprüche aus Staub, / eure Schilde Schilde aus Lehm.
Die Verteidigung der eigenen Unschuld
13 Schweigt vor mir, damit ich reden kann. / Dann komme auf mich, was mag. 14 Meinen Leib nehme ich zwischen die Zähne, / in meine Hand leg ich mein Leben. 15 Er mag mich töten, ich harre auf ihn; / doch meine Wege verteidige ich vor ihm. 16 Schon das wird mir zum Heile dienen, / kein Ruchloser kommt ja vor sein Angesicht. 17 Hört nun genau auf meine Rede, / was ich erkläre vor euren Ohren. 18 Seht, ich bringe den Rechtsfall vor; / ich weiß, ich bin im Recht. 19 Wer ist es, der mit mir streitet? / Gut, dann will ich schweigen und verscheiden. 20 Zwei Dinge nur tu mir nicht an, / dann verberge ich mich nicht vor dir: 21 Zieh deine Hand von mir zurück; / nicht soll die Angst vor dir mich schrecken. 22 Dann rufe und ich will Rede stehen / oder ich rede und du antworte mir! 23 Wie viel habe ich an Sünden und Vergehen? / Meine Schuld und mein Vergehen sag mir an! 24 Warum verbirgst du dein Angesicht / und siehst mich an als deinen Feind? 25 Verwehtes Laub willst du noch scheuchen, / dürre Spreu noch forttreiben? 26 Denn Bitterkeit verschreibst du mir, / teilst mir die Sünden meiner Jugend zu. 27 In den Block legst du meine Füße, / du überwachst auch alle meine Pfade / und zeichnest einen Strich um meiner Füße Sohlen. 28 Er selbst zerfällt wie Verfaultes, / dem Kleide gleich, das die Motte fraß.
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Ijobs Hoffnungslosigkeit
1 Der Mensch, vom Weib geboren, / knapp an Tagen, unruhvoll, 2 er geht wie die Blume auf und welkt, / flieht wie ein Schatten und bleibt nicht bestehen. 3 Doch über ihm hältst du dein Auge offen / und ihn bringst du ins Gericht mit dir. 4 Kann denn ein Reiner von Unreinem kommen? / Nicht ein Einziger. 5 Wenn seine Tage fest bestimmt sind / und die Zahl seiner Monde bei dir, / wenn du gesetzt hast seine Grenzen, / sodass er sie nicht überschreitet, 6 schau weg von ihm! Lass ab, / damit er seines Tags sich freue wie ein Tagelöhner. 7 Denn für den Baum besteht noch Hoffnung, / ist er gefällt, so treibt er wieder, / sein Sprössling bleibt nicht aus. 8 Wenn in der Erde seine Wurzel altert / und sein Stumpf im Boden stirbt, 9 vom Dunst des Wassers sprosst er wieder / und wie ein Setzling treibt er Zweige. 10 Doch stirbt ein Mann, so bleibt er kraftlos, / verscheidet ein Mensch, wo ist er dann? 11 Die Wasser schwinden aus dem Meer, / der Strom vertrocknet und versiegt. 12 So legt der Mensch sich hin, steht nie mehr auf; / die Himmel werden vergehen, eh er erwacht, / eh er aus seinem Schlaf geweckt wird. 13 Dass du mich in der Unterwelt verstecktest, / mich bergen wolltest, bis dein Zorn sich wendet, / ein Ziel mir setztest und dann an mich dächtest! 14 Wenn einer stirbt, lebt er dann wieder auf? / Alle Tage meines Kriegsdienstes harrte ich, / bis einer käme, um mich abzulösen. 15 Du riefest und ich gäbe Antwort, / du sehntest dich nach deiner Hände Werk. 16 Dann würdest du meine Schritte zählen, / auf meinen Fehltritt nicht mehr achten. 17 Versiegelt im Beutel wäre mein Vergehen, / du würdest meinen Frevel übertünchen. 18 Jedoch der Berg, der fällt, zergeht, / von seiner Stätte rückt der Fels. 19 Das Wasser zerreibt Steine, / Platzregen spült das Erdreich fort; / so machst du das Hoffen des Menschen zunichte. 20 Du bezwingst ihn für immer, so geht er dahin, / du entstellst sein Gesicht und schickst ihn fort. 21 Sind seine Kinder in Ehren, er weiß es nicht; / sind sie verachtet, er merkt es nicht. 22 Sein Leib fühlt nur die eigenen Schmerzen, / seine Seele trauert nur um sich selbst.
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