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Das Buch Ijob

29

Ijobs Schlussrede: 29,1- 31,40

Die gesegnete Vergangenheit

1 Dann setzte Ijob seine Rede fort und sprach:
2 Dass ich doch wäre / wie in längst vergangenen Monden, / wie in den Tagen, da mich Gott beschirmte,
3 als seine Leuchte über meinem Haupt erstrahlte, / in seinem Licht ich durch das Dunkel ging.
4 So, wie ich in den Tagen meiner Frühzeit war, / als Gottes Freundschaft über meinem Zelte stand,
5 als der Allmächtige noch mit mir war, / meine Kinder mich umgaben,
6 als meine Schritte sich in Milch gebadet, / Bäche von Öl der Fels mir ergoss.
7 Ging ich durchs Tor zur Stadt hinauf, / ließ ich auf dem Platz meinen Sitz aufstellen;
8 sahen mich die Jungen, so traten sie scheu beiseite, / die Alten standen auf und blieben stehen.
9 Fürsten hielten mit Reden sich zurück / und legten ihre Hand auf ihren Mund.
10 Der Edlen Stimme blieb stumm, / am Gaumen klebte ihre Zunge.
11 Hörte mich ein Ohr, pries es mich glücklich, / das Auge, das mich sah, stimmte mir zu.
12 Denn ich rettete den Armen, der schrie, / die Waise, die ohne Hilfe war.
13 Der Segen des Verlorenen kam über mich / und jubeln ließ ich der Witwe Herz.
14 Ich bekleidete mich mit Gerechtigkeit, / wie Mantel und Kopfbund umhüllte mich mein Recht.
15 Auge war ich für den Blinden, / dem Lahmen wurde ich zum Fuß.
16 Vater war ich für die Armen, / des Unbekannten Rechtsstreit prüfte ich.
17 Ich zerschmetterte des Bösen Kiefer, / entriss die Beute seinen Zähnen.
18 So dachte ich: Mit meinem Nest werde ich verscheiden / und gleich dem Phönix meine Tage mehren.
19 Meine Wurzel reiche bis an das Wasser, / auf meinen Zweigen nächtige Tau.
20 Neu bleibe mir meine Ehre, / mein Bogen verjünge sich in meiner Hand.
21 Auf mich horchten und warteten sie, / lauschten schweigend meinem Rat.
22 Wenn ich sprach, nahm keiner das Wort; / es träufelte nieder auf sie meine Rede.
23 Sie harrten auf mich wie auf Regen, / sperrten den Mund wie nach Spätregen auf.
24 Lächelte ich denen zu, die ohne Vertrauen, / sie wiesen das Leuchten meines Gesichts nicht ab.
25 Ich bestimmte ihr Tun, ich saß als Haupt, / thronte wie ein König inmitten der Schar, wie einer, der Trauernde tröstet.


30

Die schreckliche Gegenwart

1 Jetzt aber lachen über mich, / die jünger sind als ich an Tagen, / deren Väter ich nicht für wert geachtet, / sie bei den Hunden meiner Herde anzustellen.
2 Was sollte mir auch ihrer Hände Kraft? / Geschwunden war ihre Rüstigkeit
3 durch Mangel und durch harten Hunger; / Leute, die das dürre Land abnagen, / das Gras der Wüste und der Wüstenei.
4 Sie pflücken Salzmelde im Gesträuch / und Ginsterwurzeln sind ihr Brot.
5 Aus der Gemeinschaft wurden sie verjagt; / man schreit ihnen nach wie einem Dieb.
6 Am Hang der Täler müssen sie wohnen, / in Erdhöhlen und in Felsgeklüft.
7 Zwischen Sträuchern schreien sie kläglich, / drängen sich zusammen unter wildem Gestrüpp.
8 Blödes Gesindel, Volk ohne Namen, / wurden sie aus dem Land hinausgepeitscht.
9 Jetzt aber bin ich ihr Spottlied, / bin zum Klatsch für sie geworden.
10 Sie verabscheuen mich, rücken weit von mir weg, / scheuen sich nicht, mir ins Gesicht zu speien.
11 Denn Gott löste mein Seil und beugte mich nieder, / sie aber ließen die Zügel vor mir schießen.
12 Zur rechten Seite erhebt sich eine Schar, / treibt meine Füße weg, / wirft gegen mich ihre Unheilsdämme auf.
13 Meinen Pfad reißen sie auf, helfen zu meinem Verderben / und niemand wehrt ihnen.
14 Wie durch eine breite Bresche kommen sie heran, / wälzen sich unter Trümmern her.
15 Schrecken stürzen auf mich ein, / verjagt wie vom Wind ist mein Adel, / wie eine Wolke entschwand mein Heil.
16 Und nun zerfließt die Seele in mir, / des Elends Tage packen mich an.
17 Des Nachts durchbohrt es mir die Knochen, / mein nagender Schmerz kommt nicht zur Ruh.
18 Mit Allgewalt packt er mich am Kleid, / schnürt wie der Gürtel des Rocks mich ein.
19 Er warf mich in den Lehm, / sodass ich Staub und Asche gleiche.
20 Ich schreie zu dir und du erwiderst mir nicht; / ich stehe da, doch du achtest nicht auf mich.
21 Du wandelst dich zum grausamen Feind gegen mich, / mit deiner starken Hand befehdest du mich.
22 Du hebst mich in den Wind, fährst mich dahin, / lässt mich zergehen im Sturmgebraus.
23 Ja, ich weiß, du führst mich zum Tod, / zur Sammelstätte aller Lebenden.
24 Doch nicht an Trümmer legt er die Hand. - / Schreit man nicht um Hilfe beim Untergang?
25 Weinte ich nicht um den, der harte Tage hatte, / grämte sich nicht meine Seele über den Armen?
26 Ja, ich hoffte auf Gutes, doch Böses kam, / ich harrte auf Licht, doch Finsternis kam.
27 Mein Inneres kocht und kommt nicht zur Ruhe, / mich haben die Tage des Elends erreicht.
28 Geschwärzt, doch nicht von der Sonne gebrannt, / stehe ich auf in der Gemeinde, schreie laut.
29 Den Schakalen wurde ich zum Bruder, / den Straußenhennen zum Freund.
30 Die Haut an mir ist schwarz, / von Fieberglut brennen meine Knochen.
31 Zur Trauer wurde mein Harfenspiel, / mein Flötenspiel zum Klagelied.


31

Erneute Unschuldsbeteuerung vor Gott

1 Einen Bund schloss ich mit meinen Augen, / nie eine Jungfrau lüstern anzusehen.
2 Was wäre sonst mein Teil von Gott dort oben, / mein Erbe vom Allmächtigen in der Höhe?
3 Ist nicht Verderben dem Frevler bestimmt / und Missgeschick den Übeltätern?
4 Sieht er denn meine Wege nicht, / zählt er nicht alle meine Schritte?
5 Wenn ich in Falschheit einherging, / wenn zum Betrug mein Fuß eilte,
6 dann wäge Gott mich auf gerechter Waage, / so wird er meine Unschuld anerkennen.
7 Wenn mein Schritt vom Wege wich, / mein Herz meinen Augen folgte, / an meinen Händen Makel klebte,
8 dann esse ein anderer, was ich säe, / entwurzelt werde, was mir sprosst.
9 Wenn sich mein Herz von einer Frau betören ließ / und ich an der Tür meines Nachbarn lauerte,
10 dann mahle meine Frau einem andern / und andere sollen sich beugen über sie.
11 Denn das wäre eine Schandtat / und ein Verbrechen, von Richtern zu strafen.
12 Denn das wäre Feuer, das zum Abgrund frisst / und meine ganze Habe entwurzelt.
13 Wenn ich das Recht meines Knechts missachtet / und das meiner Magd im Streit mit mir,
14 was könnt ich tun, wenn Gott sich erhöbe, / was ihm entgegnen, wenn er mich prüfte?
15 Hat nicht mein Schöpfer auch ihn im Mutterleib geschaffen, / hat nicht der Eine uns im Mutterschoß gebildet?
16 Wenn ich der Armen Wunsch versagte, / verschmachten ließ der Witwe Augen,
17 wenn ganz allein ich meinen Bissen aß, / das Waisenkind aber nicht davon aß -
18 von Jugend an hat wie ein Vater er mich großgezogen, / vom Mutterschoß an mich geleitet -,
19 wenn ich den Verlorenen sah ohne Kleid / und ohne Decke den Verarmten,
20 wenn nicht seine Lenden mir dankten, / er nicht von der Schur meiner Lämmer sich wärmte,
21 wenn meine Hand der Waise drohte, / weil ich am Tor Helfer für mich sah,
22 dann falle die Schulter mir vom Nacken, / breche der Arm mir aus dem Gelenk.
23 Ja, Schrecken träfe mich, Gottes Verderben, / vor seiner Hoheit hielte ich nicht stand.
24 Wenn ich auf Gold meine Hoffnung setzte, / zum Feingold sprach: Du meine Zuversicht!,
25 wenn ich mich freute, dass groß mein Vermögen, / dass viel erreicht hat meine Hand,
26 wenn ich die leuchtende Sonne sah, wie sie strahlte, / den Mond, wie er herrlich dahinzog,
27 wenn heimlich sich mein Herz betören ließ / und meine Hand dem Mund zum Kuss sich bot,
28 auch das wäre ein Verbrechen, vom Richter zu strafen, / denn Gott da droben hätte ich verleugnet.
29 Wenn ich am Unglück meines Feinds mich freute / und triumphierte, dass Unheil ihn traf -
30 habe ich doch meinem Mund zu sündigen verboten, / sein Leben mit Fluch zu verwünschen.
31 Wenn meine Zeltgenossen nicht gestanden: / Wer wurde von seinem Fleisch nicht gesättigt?
32 Kein Fremder musste draußen übernachten, / dem Wanderer tat meine Tür ich auf.
33 Wenn ich nach Menschenart meine Frevel verhehlte, / meine Schuld verbarg in meiner Brust,
34 weil ich die große Menge scheute / und die Verachtung der Sippen mich schreckte, / so schwiege ich still und ginge nicht zur Tür hinaus.


Ijobs Warten auf Gottes Antwort

35 Gäbe es doch einen, der mich hört. / Das ist mein Begehr, dass der Allmächtige mir Antwort gibt: / Hier ist das Schriftstück, das mein Gegner geschrieben.
36 Auf meine Schulter wollte ich es heben, / als Kranz es um den Kopf mir winden.
37 Ich täte die Zahl meiner Schritte ihm kund, / ich nahte mich ihm wie ein Fürst.
38 Wenn über mich mein Acker schrie, / seine Furchen miteinander weinten,
39 wenn seinen Ertrag ich verzehrte, ohne zu bezahlen, / das Verlangen seines Herrn ich unerfüllt ließ,
40 sollen Dornen wachsen statt Weizen, / statt Gerste stinkendes Kraut. Zu Ende sind die Worte Ijobs.