Das Buch der Sprichwörter
Eine Sammlung von Weisheitslehren: 1,8 - 9,18
Die Warnung vor Verführung und Unerfahrenheit
8 Höre, mein Sohn, auf die Mahnung des Vaters / und die Lehre deiner Mutter verwirf nicht! 9 Sie sind ein schöner Kranz auf deinem Haupt / und eine Kette für deinen Hals. 10 Mein Sohn, wenn dich Sünder locken, / dann folg ihnen nicht, 11 wenn sie sagen: Geh mit uns, / wir wollen darauf lauern, Blut zu vergießen, / ohne Grund dem Arglosen nachzustellen; 12 wie die Unterwelt wollen wir sie lebendig verschlingen, / Männer in ihrer Kraft, als wären sie dem Grab verfallen. 13 Manch kostbares Stück werden wir finden, / mit Beute unsere Häuser füllen. 14 Wirf dein Los in unserm Kreis, / gemeinsam sei uns der Beutel. 15 Mein Sohn, geh nicht mit ihnen, / halte deinen Fuß fern von ihrem Pfad! 16 Denn ihre Füße laufen dem Bösen nach, / sie eilen, Blut zu vergießen. 17 Umsonst wird das Netz ausgespannt / vor den Augen aller Vögel; 18 sie aber lauern auf ihr eigenes Blut, / sie trachten sich selbst nach dem Leben. 19 So enden alle, die sich durch Raub bereichern: / Wer ihn an sich nimmt, dem raubt er das Leben. 20 Die Weisheit ruft laut auf der Straße, / auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme. 21 Am Anfang der Mauern predigt sie, / an den Stadttoren hält sie ihre Reden: 22 Wie lang noch, ihr Törichten, liebt ihr Betörung, / gefällt den Zuchtlosen ihr dreistes Gerede, / hassen die Toren Erkenntnis? 23 Wendet euch meiner Mahnung zu! / Dann will ich auf euch meinen Geist ausgießen / und meine Worte euch kundtun. 24 Als ich rief, habt ihr euch geweigert, / meine drohende Hand hat keiner beachtet; 25 jeden Rat, den ich gab, habt ihr ausgeschlagen, / meine Mahnung gefiel euch nicht. 26 Darum werde auch ich lachen, / wenn euch Unglück trifft, / werde spotten, wenn Schrecken über euch kommt, 27 wenn der Schrecken euch wie ein Unwetter naht / und wie ein Sturm euer Unglück hereinbricht, / wenn Not und Drangsal euch überfallen. 28 Dann werden sie nach mir rufen, doch ich höre nicht; / sie werden mich suchen, aber nicht finden. 29 Weil sie die Einsicht hassten / und nicht die Gottesfurcht wählten, 30 meinen Rat nicht wollten, / meine ganze Mahnung missachteten, 31 sollen sie nun essen von der Frucht ihres Tuns / und von ihren Plänen sich sättigen. 32 Denn die Abtrünnigkeit der Haltlosen ist ihr Tod, / die Sorglosigkeit der Toren ist ihr Verderben. 33 Wer aber auf mich hört, wohnt in Sicherheit, / ihn stört kein böser Schrecken.
2
1 Mein Sohn, wenn du meine Worte annimmst / und meine Gebote beherzigst, 2 der Weisheit Gehör schenkst, / dein Herz der Einsicht zuneigst, 3 wenn du nach Erkenntnis rufst, / mit lauter Stimme um Einsicht bittest, 4 wenn du sie suchst wie Silber, / nach ihr forschst wie nach Schätzen, 5 dann wirst du die Gottesfurcht begreifen / und Gotteserkenntnis finden. 6 Denn der Herr gibt Weisheit, / aus seinem Mund kommen Erkenntnis und Einsicht. 7 Für die Redlichen hält er Hilfe bereit, / den Rechtschaffenen ist er ein Schild. 8 Er hütet die Pfade des Rechts / und bewacht den Weg seiner Frommen. 9 Dann begreifst du, was Recht und Gerechtigkeit ist, / Redlichkeit und jedes gute Verhalten; 10 denn Weisheit zieht ein in dein Herz, / Erkenntnis beglückt deine Seele. 11 Besonnenheit wacht über dir / und Einsicht behütet dich. 12 Sie bewahrt dich vor dem Weg des Bösen, / vor Leuten, die Verkehrtes reden, 13 die den rechten Weg verlassen, / um auf dunklen Pfaden zu gehen, 14 die sich freuen am bösen Tun / und jubeln über die Verkehrtheit des Schlechten, 15 deren Pfade krumm verlaufen / und deren Straßen in die Irre führen. 16 Sie bewahrt dich vor der Frau des andern, / vor der Fremden, die verführerisch redet, 17 die den Gefährten ihrer Jugend verlässt / und den Bund ihres Gottes vergisst; 18 ihr Haus sinkt hinunter zur Totenwelt, / ihre Straße führt zu den Totengeistern hinab. 19 Wer zu ihr geht, kehrt nie zurück, / findet nie wieder die Pfade des Lebens. 20 Darum geh auf dem Weg der Guten, / halte dich an die Pfade der Gerechten; 21 denn die Redlichen werden das Land bewohnen, / wer rechtschaffen ist, wird darin bleiben. 22 Die Frevler aber werden aus dem Land verstoßen, / die Verräter aus ihm weggerissen.
3
1 Mein Sohn, vergiss meine Lehre nicht, bewahre meine Gebote in deinem Herzen! 2 Denn sie vermehren die Tage und Jahre deines Lebens / und bringen dir Wohlergehen. 3 Nie sollen Liebe und Treue dich verlassen; / binde sie dir um den Hals, / schreib sie auf die Tafel deines Herzens! 4 Dann erlangst du Gunst und Beifall / bei Gott und den Menschen. 5 Mit ganzem Herzen vertrau auf den Herrn, / bau nicht auf eigene Klugheit; 6 such ihn zu erkennen auf all deinen Wegen, / dann ebnet er selbst deine Pfade. 7 Halte dich nicht selbst für weise, / fürchte den Herrn und fliehe das Böse! 8 Das ist heilsam für deine Gesundheit / und erfrischt deine Glieder. 9 Ehre den Herrn mit deinem Vermögen, / mit dem Besten von dem, was du erntest. 10 Dann füllen sich deine Scheunen mit Korn, / deine Fässer laufen über von Wein. 11 Mein Sohn, verachte nicht die Zucht des Herrn, / widersetz dich nicht, wenn er dich zurechtweist. 12 Wen der Herr liebt, den züchtigt er, / wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat. 13 Wohl dem Mann, der Weisheit gefunden, / dem Mann, der Einsicht gewonnen hat. 14 Denn sie zu erwerben ist besser als Silber, / sie zu gewinnen ist besser als Gold. 15 Sie übertrifft die Perlen an Wert, / keine kostbaren Steine kommen ihr gleich. 16 Langes Leben birgt sie in ihrer Rechten, / in ihrer Linken Reichtum und Ehre; 17 ihre Wege sind Wege der Freude, / all ihre Pfade führen zum Glück. 18 Wer nach ihr greift, dem ist sie ein Lebensbaum, / wer sie fest hält, ist glücklich zu preisen. 19 Der Herr hat die Erde mit Weisheit gegründet / und mit Einsicht den Himmel befestigt. 20 Durch sein Wissen brechen die tiefen Quellen hervor / und träufeln die Wolken den Tau herab. 21 Mein Sohn, lass beides nicht aus den Augen: / Bewahre Umsicht und Besonnenheit! 22 Dann werden sie dir ein Lebensquell, / ein Schmuck für deinen Hals; 23 dann gehst du sicher deinen Weg / und stößt mit deinem Fuß nicht an. 24 Gehst du zur Ruhe, so schreckt dich nichts auf, / legst du dich nieder, erquickt dich dein Schlaf. 25 Du brauchst dich vor jähem Erschrecken nicht zu fürchten / noch vor dem Verderben, das über die Frevler kommt. 26 Der Herr wird deine Zuversicht sein, / er bewahrt deinen Fuß vor der Schlinge. 27 Versag keine Wohltat dem, der sie braucht, / wenn es in deiner Hand liegt, Gutes zu tun. 28 Wenn du jetzt etwas hast, / sag nicht zu deinem Nächsten: / Geh, komm wieder, morgen will ich dir etwas geben. 29 Sinne nichts Böses gegen deinen Nächsten, / der friedlich neben dir wohnt. 30 Bring niemand ohne Grund vor Gericht, / wenn er dir nichts Böses getan hat. 31 Beneide den Gewalttätigen nicht, / wähle keinen seiner Wege; 32 denn ein Gräuel ist dem Herrn der Ränkeschmied, / die Redlichen sind seine Freunde. 33 Der Fluch des Herrn fällt auf das Haus des Frevlers, / die Wohnung der Gerechten segnet er. 34 Die Zuchtlosen verspottet er, / den Gebeugten erweist er seine Gunst. 35 Die Weisen erlangen Ehre, / die Toren aber häufen Schande auf sich.
4
1 Ihr Söhne, hört auf die Mahnung des Vaters, / merkt auf, damit ihr Einsicht lernt; 2 denn gute Lehre gebe ich euch. / Lasst nicht ab von meiner Weisung! 3 Als ich noch ein Knabe war bei meinem Vater, / das zarte und einzige Kind meiner Mutter, 4 da lehrte er mich und sagte zu mir: / Nimm dir meine Worte zu Herzen, / folge meinen Geboten und du wirst leben. 5 Erwirb dir Weisheit, erwirb dir Einsicht, / vergiss sie nicht, weich nicht ab von meinen Worten! 6 Lass nicht von ihr und sie wird dich behüten, / liebe sie und sie wird dich beschützen. 7 Anfang der Weisheit ist: Erwirb dir Weisheit, / erwirb dir Einsicht mit deinem ganzen Vermögen! 8 Halte sie hoch, dann wird sie dich erhöhen; / sie bringt dich zu Ehren, wenn du sie umarmst. 9 Sie setzt dir einen schönen Kranz auf das Haupt, / eine prächtige Krone wird sie dir schenken. 10 Höre, mein Sohn, und nimm meine Worte an, / dann mehren sich die Jahre deines Lebens. 11 Den Weg der Weisheit zeige ich dir, / ich leite dich auf ebener Bahn. 12 Wenn du gehst, ist dein Schritt nicht beengt, / wenn du läufst, wirst du nicht straucheln. 13 Halt fest an der Zucht und lass davon nicht ab, / bewahre sie; denn sie ist dein Leben. 14 Betritt nicht den Pfad der Frevler, / beschreite nicht den Weg der Bösen! 15 Meide ihn, geh nicht auf ihm, / kehr dich von ihm ab und geh vorbei! 16 Denn sie schlafen nicht, ehe sie Böses tun; / der Schlaf flieht sie, bis sie Verbrechen begehen. 17 Sie essen das Brot des Unrechts / und trinken den Wein der Gewalttat. 18 Doch der Pfad der Gerechten / ist wie das Licht am Morgen; / es wird immer heller bis zum vollen Tag. 19 Der Weg der Frevler ist wie dunkle Nacht; / sie merken nicht, worüber sie fallen. 20 Mein Sohn, achte auf meine Worte, / neige dein Ohr meiner Rede zu! 21 Lass sie nicht aus den Augen, / bewahre sie tief im Herzen! 22 Denn Leben bringen sie dem, der sie findet, / und Gesundheit seinem ganzen Leib. 23 Mehr als alles hüte dein Herz; / denn von ihm geht das Leben aus. 24 Vermeide alle Falschheit des Mundes / und Verkehrtheit der Lippen halt von dir fern! 25 Deine Augen sollen geradeaus schauen / und deine Blicke richte nach vorn! 26 Ebne die Straße für deinen Fuß / und alle deine Wege seien geordnet. 27 Bieg nicht ab, weder rechts noch links, / halt deinen Fuß vom Bösen zurück!
5
1 Mein Sohn, merk auf meinen weisen Rat, / neige meiner Einsicht dein Ohr zu, 2 damit du Besonnenheit bewahrst / und deine Lippen auf Klugheit achten. 3 Denn die Lippen der fremden Frau triefen von Honig, / glatter als Öl ist ihr Mund. 4 Doch zuletzt ist sie bitter wie Wermut, / scharf wie ein zweischneidiges Schwert. 5 Ihre Füße steigen zur Totenwelt hinab, / ihre Schritte gehen der Unterwelt zu. 6 Den ebenen Pfad zum Leben verfehlt sie, / sie geht krumme Wege und merkt es nicht. 7 Nun denn, ihr Söhne, hört auf mich, / weicht nicht ab von den Worten, die mein Mund spricht. 8 Halte deinen Weg von ihr fern, / komm ihrer Haustür nicht nahe! 9 Sonst schenkst du andern deine Kraft, / deine Jahre einem Rücksichtslosen; 10 sonst sättigen sich Fremde an deinem Besitz, / die Frucht deiner Arbeit / kommt in das Haus eines andern 11 und am Ende wirst du stöhnen, / wenn dein Leib und dein Fleisch dahinsiechen. 12 Dann wirst du bekennen: / Weh mir, ich habe die Zucht gehasst, / mein Herz hat die Warnung verschmäht; 13 ich habe nicht auf die Stimme meiner Erzieher gehört, / mein Ohr nicht meinen Lehrern zugeneigt. 14 Fast hätte mich alles Unheil getroffen / in der Versammlung und in der Gemeinde. 15 Trink Wasser aus deiner eigenen Zisterne, / Wasser, das aus deinem Brunnen quillt. 16 Sollen deine Quellen auf die Straße fließen, / auf die freien Plätze deine Bäche? 17 Dir allein sollen sie gehören, / kein Fremder soll teilen mit dir. 18 Dein Brunnen sei gesegnet; / freu dich der Frau deiner Jugendtage, 19 der lieblichen Gazelle, der anmutigen Gämse! / Ihre Liebkosung mache dich immerfort trunken, / an ihrer Liebe berausch dich immer wieder! 20 Warum solltest du dich an einer Fremden berauschen, / den Busen einer andern umfangen? 21 Denn der Weg eines jeden liegt offen vor den Augen des Herrn, / er achtet auf alle seine Pfade. 22 Der Frevler verfängt sich in der eigenen Schuld, / die Stricke seiner Sünde halten ihn fest. 23 Er stirbt aus Mangel an Zucht, / wegen seiner großen Torheit stürzt er ins Verderben.
6
1 Mein Sohn, hast du deinem Nächsten Bürgschaft geleistet, / hast du einem Fremden den Handschlag gegeben, 2 hast du dich durch deine Worte gebunden, / bist du gefangen durch deine Worte, 3 dann tu doch dies, mein Sohn: Reiß dich los; / denn du bist in die Hände deines Nächsten geraten. / Geh eilends hin und bestürm deinen Nächsten! 4 Gönne deinen Augen keinen Schlaf, / keinen Schlummer deinen Wimpern, 5 entreiß dich seiner Hand wie eine Gazelle, / wie ein Vogel der Hand des Jägers! 6 Geh zur Ameise, du Fauler, / betrachte ihr Verhalten und werde weise! 7 Sie hat keinen Meister, / keinen Aufseher und Gebieter, 8 und doch sorgt sie im Sommer für Futter, / sammelt sich zur Erntezeit Vorrat. 9 Wie lang, du Fauler, willst du noch daliegen, / wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? 10 Noch ein wenig schlafen, / noch ein wenig schlummern, / noch ein wenig die Arme verschränken, um auszuruhen. 11 Da kommt schon die Armut wie ein Strolch über dich, / die Not wie ein zudringlicher Bettler. 12 Ein Nichtsnutz, ja ein Gauner, / wer daherkommt mit Lügen im Mund, 13 wer mit den Augen zwinkert, mit den Füßen deutet, / Zeichen gibt mit den Fingern. 14 Tücke im Herzen, stets voll böser Ränke, / zettelt er jederzeit Händel an. 15 Darum wird plötzlich das Verderben über ihn kommen, / im Nu, ohne Rettung, wird er zerschmettert. 16 Sechs Dinge sind dem Herrn verhasst, / sieben sind ihm ein Gräuel: 17 Stolze Augen, eine falsche Zunge, / Hände, die unschuldiges Blut vergießen, 18 ein Herz, das finstere Pläne hegt, / Füße, die schnell dem Bösen nachlaufen, 19 ein falscher Zeuge, der Lügen zuflüstert, / und wer Streit entfacht unter Brüdern.
Die eheliche Treue
20 Achte, mein Sohn, auf das Gebot deines Vaters, / missachte nicht die Lehre deiner Mutter! 21 Binde sie dir für immer aufs Herz / und winde sie dir um den Hals! 22 Wenn du gehst, geleitet sie dich, / wenn du ruhst, behütet sie dich, / beim Erwachen redet sie mitdir. 23 Denn eine Leuchte ist das Gebot / und die Lehre ein Licht, / ein Weg zum Leben sind Mahnung und Zucht. 24 Sie bewahren dich vor der Frau des Nächsten, / vor der glatten Zunge der Fremden. 25 Begehre nicht in deinem Herzen ihre Schönheit, / lass dich nicht fangen durch ihre Wimpern! 26 Einer Dirne zahlt man bis zu einem Laib Brot, / die Frau eines andern jagt dir das kostbare Leben ab. 27 Trägt man denn Feuer in seinem Gewand, / ohne dass die Kleider in Brand geraten? 28 Kann man über glühende Kohlen schreiten, / ohne sich die Füße zu verbrennen? 29 So ist es mit dem, der zur Frau seines Nächsten geht. / Keiner bleibt ungestraft, der sie berührt. 30 Verachtet man nicht den Dieb, / auch wenn er nur stiehlt, / um sein Verlangen zu stillen, weil er Hunger hat? 31 Wird er ertappt, so muss er siebenfach zahlen, / den ganzen Besitz seines Hauses geben. 32 Wer Ehebruch treibt, ist ohne Verstand, / nur wer sich selbst vernichten will, / lässt sich darauf ein. 33 Schläge und Schande bringt es ihm ein, / unaustilgbar ist seine Schmach. 34 Denn Eifersucht bringt den Ehemann in Wut, / er kennt keine Schonung am Tag der Rache. 35 Kein Sühnegeld nimmt er an; / magst du auch Geschenke häufen, er willigt nicht ein.
7
1 Mein Sohn, achte auf meine Worte, / meine Gebote verwahre bei dir! 2 Achte auf meine Gebote, damit du am Leben bleibst, / hüte meine Lehre wie deinen Augapfel! 3 Binde sie dir an die Finger, / schreib sie auf die Tafel deines Herzens! 4 Sag zur Weisheit: Du bist meine Schwester!, / und nenne die Klugheit deine Freundin! 5 Sie bewahrt dich vor der Frau eines andern, / vor der Fremden, die verführerisch redet. 6 Vom Fenster meines Hauses, / durch das Gitter, habe ich ausgeschaut; 7 da sah ich bei den Unerfahrenen, / da bemerkte ich bei den Burschen / einen jungen Mann ohne Verstand: 8 Er ging über die Straße, bog um die Ecke / und nahm den Weg zu ihrem Haus; 9 als der Tag sich neigte, in der Abenddämmerung, / um die Zeit, da es dunkel wird und die Nacht kommt. 10 Da! Eine Frau kommt auf ihn zu, / im Kleid der Dirnen, mit listiger Absicht; 11 voll Leidenschaft ist sie und unbändig, / ihre Füße blieben nicht mehr im Haus; 12 bald auf den Gassen, bald auf den Plätzen, / an allen Straßenecken lauert sie. 13 Nun packt sie ihn, küsst ihn, / sagt zu ihm mit keckem Gesicht: 14 Ich war zu Heilsopfern verpflichtet / und heute erfüllte ich meine Gelübde. 15 Darum bin ich ausgegangen, dir entgegen, / ich habe dich gesucht und gefunden. 16 Ich habe Decken über mein Bett gebreitet, / bunte Tücher aus ägyptischem Leinen; 17 ich habe mein Lager besprengt / mit Myrrhe, Aloe und Zimt. 18 Komm, wir wollen bis zum Morgen in Liebe schwelgen, / wir wollen die Liebeslust kosten. 19 Denn mein Mann ist nicht zu Hause, / er ist auf Reisen, weit fort. 20 Den Geldbeutel hat er mitgenommen, / erst am Vollmondstag kehrt er heim. 21 So macht sie ihn willig mit viel Überredung, / mit schmeichelnden Lippen verführt sie ihn. 22 Betört folgt er ihr, / wie ein Ochse, den man zum Schlachten führt, / wie ein Hirsch, den das Fangseil umschlingt, 23 bis ein Pfeil ihm die Leber zerreißt; / wie ein Vogel, der in das Netz fliegt / und nicht merkt, dass es um sein Leben geht. 24 Darum, ihr Söhne, hört auf mich, / achtet auf meine Reden! 25 Dein Herz schweife nicht ab auf ihre Wege, / verirre dich nicht auf ihre Pfade! 26 Denn zahlreich sind die Erschlagenen, / die sie gefällt hat; / viele sind es, die sie ermordet hat; 27 ihr Haus ist ein Weg zur Unterwelt, / er führt zu den Kammern des Todes.
8
1 Ruft nicht die Weisheit, / erhebt nicht die Klugheit ihre Stimme? 2 Bei der Stadtburg, auf den Straßen, / an der Kreuzung der Wege steht sie; 3 neben den Toren, wo die Stadt beginnt, / am Zugang zu den Häusern ruft sie laut: 4 Euch, ihr Leute, lade ich ein, / meine Stimme ergeht an alle Menschen: 5 Ihr Unerfahrenen, werdet klug, / ihr Törichten, nehmt Vernunft an! 6 Hört her! Aufrichtig rede ich. / Redlich ist, was meine Lippen reden. 7 Die Wahrheit spricht meine Zunge, / Unrechtes ist meinen Lippen ein Gräuel. 8 Alle meine Worte sind recht, / keines von ihnen ist hinterhältig und falsch. 9 Für den Verständigen sind sie alle klar / und richtig für den, der Erkenntnis fand. 10 Nehmt lieber Bildung an als Silber, / lieber Verständnis als erlesenes Gold! 11 Ja, Weisheit übertrifft die Perlen an Wert, / keine kostbaren Steine kommen ihr gleich. 12 Ich, die Weisheit, verweile bei der Klugheit, / ich entdecke Erkenntnis und guten Rat. 13 Gottesfurcht verlangt, Böses zu hassen. / Hochmut und Hoffart, schlechte Taten / und einen verlogenen Mund hasse ich. 14 Bei mir ist Rat und Hilfe; / ich bin die Einsicht, bei mir ist Macht. 15 Durch mich regieren die Könige / und entscheiden die Machthaber, wie es Recht ist; 16 durch mich versehen die Herrscher ihr Amt, / die Vornehmen und alle Verwalter des Rechts. 17 Ich liebe alle, die mich lieben, / und wer mich sucht, der wird mich finden. 18 Reichtum und Ehre sind bei mir, / angesehener Besitz und Glück; 19 meine Frucht ist besser als Gold und Feingold, / mein Nutzen übertrifft wertvolles Silber. 20 Ich gehe auf dem Weg der Gerechtigkeit, / mitten auf den Pfaden des Rechtes, 21 um denen, die mich lieben, Gaben zu verleihen / und ihre Scheunen zu füllen. 22 Der Herr hat mich geschaffen im Anfang seiner Wege, / vor seinen Werken in der Urzeit; 23 in frühester Zeit wurde ich gebildet, / am Anfang, beim Ursprung der Erde. 24 Als die Urmeere noch nicht waren, / wurde ich geboren, / als es die Quellen noch nicht gab, die wasserreichen. 25 Ehe die Berge eingesenkt wurden, / vor den Hügeln wurde ich geboren. 26 Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Fluren / und alle Schollen des Festlands. 27 Als er den Himmel baute, war ich dabei, / als er den Erdkreis abmaß über den Wassern, 28 als er droben die Wolken befestigte / und Quellen strömen ließ aus dem Urmeer, 29 als er dem Meer seine Satzung gab / und die Wasser nicht seinen Befehl übertreten durften, 30 als er die Fundamente der Erde abmaß, / da war ich als geliebtes Kind bei ihm. Ich war seine Freude Tag für Tag / und spielte vor ihm allezeit. 31 Ich spielte auf seinem Erdenrund / und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein. 32 Nun, ihr Söhne, hört auf mich! / Wohl dem, der auf meine Wege achtet. 33 Hört die Mahnung und werdet weise, / lehnt sie nicht ab! 34 Wohl dem, der auf mich hört, / der Tag für Tag an meinen Toren wacht / und meine Türpfosten hütet. 35 Wer mich findet, findet Leben / und erlangt das Gefallen des Herrn. 36 Doch wer mich verfehlt, der schadet sich selbst; / alle, die mich hassen, lieben den Tod.
9
1 Die Weisheit hat ihr Haus gebaut, / ihre sieben Säulen behauen. 2 Sie hat ihr Vieh geschlachtet, ihren Wein gemischt / und schon ihren Tisch gedeckt. 3 Sie hat ihre Mägde ausgesandt / und lädt ein auf der Höhe der Stadtburg: 4 Wer unerfahren ist, kehre hier ein. / Zum Unwissenden sagt sie: 5 Kommt, esst von meinem Mahl / und trinkt vom Wein, den ich mischte. 6 Lasst ab von der Torheit, dann bleibt ihr am Leben, / und geht auf dem Weg der Einsicht! 7 Wer den Zuchtlosen tadelt, erntet Schimpf, / wer den Frevler rügt, erntet Schande. 8 Rüge den Zuchtlosen nicht; sonst hasst er dich. / Rüge den Weisen, dann liebt er dich. 9 Unterrichte den Weisen, damit er noch weiser wird; / belehre den Gerechten, damit er dazulernt. 10 Anfang der Weisheit ist die Gottesfurcht, / die Kenntnis des Heiligen ist Einsicht. 11 Ja, durch mich werden deine Tage zahlreich, / nehmen die Jahre deines Lebens zu. 12 Bist du weise, so bist du weise zum eigenen Nutzen, / bist du aber unbeherrscht, hast du allein es zu tragen. 13 Frau Torheit fiebert nach Verführung; / das ist alles, was sie versteht. 14 Sie sitzt vor der Tür ihres Hauses / auf einem Sessel bei der Stadtburg, 15 um die Vorübergehenden einzuladen, / die geradeaus ihre Pfade gehen: 16 Wer unerfahren ist, kehre hier ein. / Zum Unwissenden sagt sie: 17 Süß ist gestohlenes Wasser, / heimlich entwendetes Brot schmeckt lecker. 18 Und er weiß nicht, dass Totengeister dort hausen, / dass ihre Gäste in den Tiefen der Unterwelt sind.
|