Das Buch der Weisheit
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Aufforderung zu einem Leben nach der Weisheit: 1,1 - 6,21
Die Mahnung zu gerechtem Leben
1 Liebt Gerechtigkeit, ihr Herrscher der Erde, / denkt in Frömmigkeit an den Herrn, / sucht ihn mit reinem Herzen! 2 Denn er lässt sich finden von denen, die ihn nicht versuchen, / und zeigt sich denen, die ihm nicht misstrauen. 3 Verkehrte Gedanken trennen von Gott; / wird seine Macht herausgefordert, / dann weist sie die Toren zurück. 4 In eine Seele, die auf Böses sinnt, / kehrt die Weisheit nicht ein, / noch wohnt sie in einem Leib, / der sich der Sünde hingibt. 5 Denn der heilige Geist, der Lehrmeister, flieht vor der Falschheit, / er entfernt sich von unverständigen Gedanken / und wird verscheucht, wenn Unrecht naht. 6 Die Weisheit ist ein menschenfreundlicher Geist, / doch lässt sie die Reden des Lästerers nicht straflos; / denn Gott ist Zeuge seiner heimlichen Gedanken, / untrüglich durchschaut er sein Herz / und hört seine Worte. 7 Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis / und er, der alles zusammenhält, kennt jeden Laut. 8 Darum bleibt keiner verborgen, der Böses redet, / das Strafurteil geht nicht an ihm vorüber. 9 Die Pläne des Frevlers werden untersucht; / der Herr erfährt von seinen Reden / und bestraft seine Vergehen. 10 Denn das eifersüchtige Ohr hört alles, / kein leises Murren bleibt ihm verborgen. 11 Hütet euch also vor unnützem Murren / und verwehrt eurer Zunge das Verleumden! / Denn euer heimliches Reden verhallt nicht ungehört / und ein Mund, der lügt, tötet die Seele. 12 Jagt nicht dem Tod nach in den Irrungen eures Lebens / und zieht nicht durch euer Handeln das Verderben herbei! 13 Denn Gott hat den Tod nicht gemacht / und hat keine Freude am Untergang der Lebenden. 14 Zum Dasein hat er alles geschaffen / und heilbringend sind die Geschöpfe der Welt. / Kein Gift des Verderbens ist in ihnen, / das Reich des Todes hat keine Macht auf der Erde; / 15 denn die Gerechtigkeit ist unsterblich.
Vom Treiben der Frevler
16 Die Frevler aber holen winkend und rufend den Tod herbei / und sehnen sich nach ihm wie nach einem Freund; / sie schließen einen Bund mit ihm, / weil sie es verdienen, ihm zu gehören.
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1 Sie tauschen ihre verkehrten Gedanken aus und sagen: Kurz und traurig ist unser Leben; / für das Ende des Menschen gibt es keine Arznei / und man kennt keinen, der aus der Welt des Todes befreit. 2 Durch Zufall sind wir geworden / und danach werden wir sein, als wären wir nie gewesen. / Der Atem in unserer Nase ist Rauch / und das Denken ist ein Funke, / der vom Schlag des Herzens entfacht wird; 3 verlöscht er, dann zerfällt der Leib zu Asche / und der Geist verweht wie dünne Luft. 4 Unser Name wird bald vergessen, / niemand denkt mehr an unsere Taten. / Unser Leben geht vorüber wie die Spur einer Wolke / und löst sich auf wie ein Nebel, / der von den Strahlen der Sonne verscheucht / und von ihrer Wärme zu Boden gedrückt wird. 5 Unsere Zeit geht vorüber wie ein Schatten, / unser Ende wiederholt sich nicht; / es ist versiegelt und keiner kommt zurück. 6 Auf, lasst uns die Güter des Lebens genießen / und die Schöpfung auskosten, / wie es der Jugend zusteht. 7 Erlesener Wein und Salböl sollen uns reichlich fließen, / keine Blume des Frühlings darf uns entgehen. 8 Bekränzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken; 9 keine Wiese bleibe unberührt / von unserem ausgelassenen Treiben. / Überall wollen wir Zeichen der Fröhlichkeit zurücklassen; / das ist unser Anteil, das fällt uns zu. 10 Lasst uns den Gerechten unterdrücken, / der in Armut lebt, / die Witwe nicht schonen / und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen! 11 Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; / denn das Schwache erweist sich als unnütz. 12 Lasst uns dem Gerechten auflauern! / Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg. / Er wirft uns Vergehen gegen das Gesetz vor / und beschuldigt uns des Verrats an unserer Erziehung. 13 Er rühmt sich, die Erkenntnis Gottes zu besitzen, / und nennt sich einen Knecht des Herrn. 14 Er ist unserer Gesinnung ein lebendiger Vorwurf, / schon sein Anblick ist uns lästig; 15 denn er führt ein Leben, / das dem der andern nicht gleicht, / und seine Wege sind grundverschieden. 16 Als falsche Münze gelten wir ihm; / von unseren Wegen hält er sich fern wie von Unrat. / Das Ende der Gerechten preist er glücklich / und prahlt, Gott sei sein Vater. 17 Wir wollen sehen, ob seine Worte wahr sind, / und prüfen, wie es mit ihm ausgeht. 18 Ist der Gerechte wirklich Sohn Gottes, / dann nimmt sich Gott seiner an / und entreißt ihn der Hand seiner Gegner. 19 Roh und grausam wollen wir mit ihm verfahren, / um seine Sanftmut kennen zu lernen, / seine Geduld zu erproben. 20 Zu einem ehrlosen Tod wollen wir ihn verurteilen; / er behauptet ja, es werde ihm Hilfe gewährt. 21 So denken sie, aber sie irren sich; / denn ihre Schlechtigkeit macht sie blind. 22 Sie verstehen von Gottes Geheimnissen nichts, / sie hoffen nicht auf Lohn für die Frömmigkeit / und erwarten keine Auszeichnung für untadelige Seelen. 23 Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen / und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. 24 Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt / und ihn erfahren alle, die ihm angehören.
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1 Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand / und keine Qual kann sie berühren. 2 In den Augen der Toren sind sie gestorben, / ihr Heimgang gilt als Unglück, 3 ihr Scheiden von uns als Vernichtung; / sie aber sind in Frieden. 4 In den Augen der Menschen wurden sie gestraft; / doch ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit. 5 Ein wenig nur werden sie gezüchtigt; / doch sie empfangen große Wohltat. / Denn Gott hat sie geprüft / und fand sie seiner würdig. 6 Wie Gold im Schmelzofen hat er sie erprobt / und sie angenommen als ein vollgültiges Opfer. 7 Beim Endgericht werden sie aufleuchten / wie Funken, die durch ein Stoppelfeld sprühen. 8 Sie werden Völker richten / und über Nationen herrschen / und der Herr wird ihr König sein in Ewigkeit. 9 Alle, die auf ihn vertrauen, / werden die Wahrheit erkennen / und die Treuen werden bei ihm bleiben in Liebe. / Denn Gnade und Erbarmen wird seinen Erwählten zuteil. 10 Die Frevler aber werden für ihre Pläne bestraft, / sie, die den Gerechten missachtet haben / und vom Herrn abgefallen sind. 11 Unglücklich sind alle, / die Weisheit und Belehrung verachten; / leer ist ihre Hoffnung, vergeblich sind ihre Mühen / und wertlos ihre Taten. 12 Ihre Frauen sind unverständig / und ihre Kinder böse, / fluchbeladen ist ihr Geschlecht.
Kinderlose Gerechte und kinderreiche Frevler
13 Selig ist die Kinderlose, die unschuldig blieb / und kein Lager der Sünde kannte; / sie wird gleich einer Mutter geehrt, / wenn die Seelen ihren Lohn empfangen. 14 Selig ist auch der Kinderlose, / der sich nicht frevelhaft verging / und gegen den Herrn nichts Böses plante; / besondere Gnade wird seiner Treue zuteil / und ein gar köstlicher Anteil am Tempel des Herrn. 15 Denn ruhmreich ist der Lohn guter Mühe / und unvergänglich die Wurzel der Klugheit. 16 Doch die Kinder von Ehebrechern verkümmern / und die Nachkommen einer sündigen Verbindung schwinden dahin. 17 Auch wenn sie lange leben, gelten sie nichts / und ehrlos ist am Ende ihr Alter. 18 Sterben sie früh, so haben sie keine Hoffnung / und keinen Trost am Tag des Gerichts; 19 denn schlimm ist das Ende eines schuldhaften Geschlechts.
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1 Besser ist Kinderlosigkeit mit Tugend; unsterblich ist ihr Ruhm, / sie steht in Ehren bei Gott und bei den Menschen. 2 Ist sie zugegen, ahmt man sie nach; / ist sie entschwunden, sehnt man sie herbei. / In der Ewigkeit triumphiert sie, / geschmückt mit dem Kranz, / Siegerin im Wettstreit um einen edlen Preis. 3 Doch die große Kinderschar der Frevler bringt keinen Nutzen; / sie ist ein unechtes Gewächs, / treibt keine Wurzeln in die Tiefe / und fasst keinen sicheren Grund. 4 Breitet es auch eine Zeit lang üppig seine Zweige aus, / so wird es doch vom Wind hin und her geschüttelt / und von der Gewalt der Stürme entwurzelt. 5 Die Äste, die noch schwach sind, werden geknickt; / ihre Frucht ist unbrauchbar, unreif und ungenießbar, / zu gar nichts geeignet. 6 Denn die Kinder eines sündigen Beischlafs / treten im Gericht als Zeugen auf / für die Schlechtigkeit ihrer Eltern.
Der frühe Heimgang des Gerechten und das lange Leben der Frevler
7 Der Gerechte aber, kommt auch sein Ende früh, / geht in Gottes Ruhe ein. 8 Denn ehrenvolles Alter besteht nicht in einem langen Leben / und wird nicht an der Zahl der Jahre gemessen. 9 Mehr als graues Haar bedeutet für die Menschen die Klugheit / und mehr als Greisenalter wiegt ein Leben ohne Tadel. 10 Er gefiel Gott und wurde von ihm geliebt; / da er mitten unter Sündern lebte, wurde er entrückt. 11 Er wurde weggenommen, / damit nicht Schlechtigkeit seine Einsicht verkehrte / und Arglist seine Seele täuschte. 12 Denn der Reiz des Bösen verdunkelt das Gute / und der Taumel der Begierde verdirbt den arglosen Sinn. 13 Früh vollendet, hat der Gerechte doch ein volles Leben gehabt; 14 da seine Seele dem Herrn gefiel, / enteilte sie aus der Mitte des Bösen. / Die Leute sahen es, ohne es zu verstehen; / sie nahmen es sich nicht zu Herzen, 15 dass Gnade und Erbarmen seinen Auserwählten zuteil wird, / Belohnung seinen Heiligen. 16 Der Gerechte, der entschlafen ist, / verurteilt die Frevler, die noch leben, / die früh vollendete Jugend / das hohe Alter des Ungerechten. 17 Die Frevler sehen das Ende des Weisen, / verstehen aber nicht, was der Herr mit ihm wollte / und warum er ihn in Sicherheit brachte. 18 Sie sehen es und gehen darüber hinweg; / doch der Herr lacht über sie. 19 Dann werden sie verachtete Leichen sein, / ewiger Spott bei den Toten. / Sie werden verstummen, / wenn er sie kopfüber hinabstürzt / und aus ihren Grundfesten reißt. / Sie werden völlig vernichtet und erleiden Qualen; / die Erinnerung an sie verschwindet.
Die Bösen und die Guten im Endgericht
20 Zitternd kommen sie zum Gericht über ihre Sünden; / ihre Vergehen treten ihnen entgegen und überführen sie.
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1 Dann wird der Gerechte voll Zuversicht dastehen vor denen, die ihn bedrängt / und seine Mühen verachtet haben. 2 Wenn sie ihn sehen, packt sie entsetzliche Furcht / und sie geraten außer sich / über seine unerwartete Rettung. 3 Jetzt denken sie anders; / seufzend und voll Angst sagen sie zueinander: 4 Dieser war es, den wir einst verlachten, / verspotteten und verhöhnten, wir Toren. / Sein Leben hielten wir für Wahnsinn / und sein Ende für ehrlos. 5 Jetzt zählt er zu den Söhnen Gottes, / bei den Heiligen hat er sein Erbteil. 6 Also sind wir vom Weg der Wahrheit abgeirrt; / das Licht der Gerechtigkeit strahlte uns nicht / und die Sonne ging nicht für uns auf. 7 Bis zum Überdruss gingen wir die Pfade des Unrechts / und des Verderbens / und wanderten durch weglose Wüsten, / aber den Weg des Herrn erkannten wir nicht. 8 Was nützte uns der Übermut, / was brachten uns Reichtum und Prahlerei? 9 All das ist vorbei wie ein Schatten, / wie eine flüchtige Nachricht. 10 Wie wenn ein Schiff durch die wogende Flut fährt: / Ist es vorübergezogen, so ist von ihm keine Spur mehr zu finden, / kein Pfad seines Kiels in den Wellen. 11 Wie wenn ein Vogel durch die Luft fliegt: / Kein Zeichen findet sich von seiner Bahn, er peitscht die leichte Luft mit seinem Flügelschlag / und durchschneidet sie mit gewaltig rauschenden Schwingen, / doch bleibt kein Zeichen seines Weges in ihr zurück. 12 Oder wie wenn ein Pfeil auf das Ziel geschossen wird: / Die geteilte Luft strömt sofort wieder zusammen, / sodass man seine Bahn nicht mehr erkennt. 13 So sind wir ins Dasein getreten, um hinzuschwinden; / wir hatten keinerlei Tugend aufzuweisen, / sondern wurden von unserer Schlechtigkeit verschlungen. 14 Ja, die Hoffnung des Frevlers ist wie die Spreu, die der Wind verweht, / wie der Gischt, den der Sturm verjagt, / wie der Rauch, den der Wind zerstäubt; / sie schwindet wie die Erinnerung an einen flüchtigen Gast. 15 Die Gerechten aber leben in Ewigkeit, / der Herr belohnt sie, der Höchste sorgt für sie. 16 Darum werden sie aus der Hand des Herrn / das Reich der Herrlichkeit empfangen und die Krone der Schönheit. Denn er wird sie mit seiner Rechten behüten / und mit seinem Arm beschützen. 17 Er rüstet sich mit seinem Eifer / und macht die Schöpfung zur Waffe, mit der er die Feinde bestraft. 18 Als Panzer zieht er Gerechtigkeit an / und als Helm setzt er strenges Gericht auf. 19 Als Schild nimmt er unüberwindliche Heiligkeit / 20 und grimmigen Zorn schärft er zum Schwert; / zusammen mit ihm kämpft die ganze Welt gegen die Toren. 21 Treffsicher fahren die Blitzespfeile dahin; / abgeschossen aus den Wolken wie von einem wohlgerundeten Bogen, / fliegen sie auf ihr Ziel. 22 Eine Steinschleuder entsendet Hagelkörner, / die voll von göttlichem Zorn sind. Das Wasser des Meeres wütet gegen die Feinde / und Ströme schlagen grimmig über ihnen zusammen. 23 Der Atem des Allmächtigen erhebt sich gegen sie / und trägt sie wie ein Sturm davon. So bringt die Gesetzlosigkeit Verheerung über die ganze Erde / und das böse Tun stürzt die Throne der Mächtigen.
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1 Hört also, ihr Könige, und seid verständig, / lernt, ihr Gebieter der ganzen Welt! 2 Horcht, ihr Herrscher der Massen, / die ihr stolz seid auf Völkerscharen! 3 Der Herr hat euch die Gewalt gegeben, / der Höchste die Herrschaft, / er, der eure Taten prüft und eure Pläne durchforscht. 4 Ihr seid Diener seines Reichs, / aber ihr habt kein gerechtes Urteil gefällt, das Gesetz nicht bewahrt / und die Weisung Gottes nicht befolgt. 5 Schnell und furchtbar wird er kommen und euch bestrafen; / denn über die Großen ergeht ein strenges Gericht. 6 Der Geringe erfährt Nachsicht und Erbarmen, / doch die Mächtigen werden gerichtet mit Macht. 7 Denn der Herrscher des Alls scheut niemand / und weicht vor keiner Größe zurück. Er hat Klein und Groß erschaffen / und trägt gleiche Sorge für alle; 8 den Mächtigen aber droht strenge Untersuchung. 9 An euch also, ihr Herrscher, richten sich meine Worte, / damit ihr Weisheit lernt und nicht sündigt. 10 Wer das Heilige heilig hält, wird geheiligt, / und wer sich darin unterweisen lässt, findet Schutz. 11 Verlangt also nach meinen Worten; / sehnt euch danach und ihr werdet gute Belehrung empfangen. 12 Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit; / wer sie liebt, erblickt sie schnell, / und wer sie sucht, findet sie. 13 Denen, die nach ihr verlangen, / gibt sie sich sogleich zu erkennen. 14 Wer sie am frühen Morgen sucht, braucht keine Mühe, / er findet sie vor seiner Türe sitzen. 15 Über sie nachzusinnen ist vollkommene Klugheit; / wer ihretwegen wacht, wird schnell von Sorge frei. 16 Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; / freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen / und kommt jenen entgegen, die an sie denken. 17 Ihr Anfang ist aufrichtiges Verlangen nach Bildung; / das eifrige Bemühen um Bildung aber ist Liebe. 18 Liebe ist Halten ihrer Gebote; / Erfüllen der Gebote sichert Unvergänglichkeit, / 19 und Unvergänglichkeit bringt in Gottes Nähe. 20 So führt das Verlangen nach Weisheit zur Herrschaft hinauf. 21 Ihr Herrscher der Völker, wenn ihr Gefallen an Thronen und Zeptern habt, / dann ehrt die Weisheit, damit ihr ewig herrscht.
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